18.05.2021 | Arbeitsrecht
Die Problematik der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten beschäftigt regelmäßig die Arbeitsgerichte. Ein Dauerbrenner ist dabei die Gewährung zusätzlicher Vergütungsbestandteile. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich zuletzt mit folgender Frage zu befassen: Wird ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern schlechter behandelt, wenn die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung davon abhängig gemacht werde, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne dass zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten unterschieden wird. Hierzu wird der EuGH voraussichtlich noch in diesem Jahr eine Entscheidung treffen, die hoffentlich Klarheit für die Praxis bringt.
Arbeitnehmer in Teilzeit verlangt zusätzliche Vergütung für Mehrflugdienststunden
Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen. Der Kläger ist bei ihr als Flugzeugführer und erster Offizier in Teilzeit beschäftigt. Seine Arbeitszeit ist auf 90 Prozent der Vollarbeitszeit verringert. Dafür erhält er eine um zehn Prozent ermäßigte Grundvergütung. Nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen erhält ein Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung, wenn er eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten („ausgelöst“) hat. Die sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und in Vollzeit.
Mit seiner Klage verlangt der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber für die erbrachten Mehrflugdienststunden eine höhere als die bereits geleistete Vergütung. Nach seiner Auffassung sind die tariflichen Bestimmungen unwirksam, da sie Teilzeitbeschäftigte schlechter als Arbeitnehmer in Vollzeit behandelten. Die Auslösegrenzen für die Zusatzzahlung müssten entsprechend seinem Teilzeitanteil abgesenkt werden. Ein sachlicher Grund bestehe dafür nicht.
Der beklagte Arbeitgeber hält die Tarifnormen für wirksam. Die Vergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Sie bestehe erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht München hat sie abgewiesen, aber die Revision zugelassen.
BAG befragt EuGH zur Vereinbarkeit mit Unionsrecht
Der 10. Senat hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Die Richter in Luxemburg sollen zunächst klären, ob eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt sein kann, wenn die zusätzliche Vergütung eine besondere Arbeitsbelastung ausgleichen soll. In diesem Zusammenhang möchte das BAG zudem wissen, ob eine besondere Arbeitsbelastung einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung darstellen kann. Insbesondere wirft das BAG die Frage auf, ob für die Bestimmung der Mehrbelastung von Arbeitnehmern ein einheitlich geltender - d.h. absoluter - Grenzwert festgesetzt werden kann oder ob eine Mehrbelastung bereits dann vorliegt, wenn die individuell vereinbarte Arbeitszeit überschritten wird.
Einordnung in die bisherige BAG-Rechtsprechung: Keine Diskriminierung
Grundsätzlich gilt gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG, dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden darf als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann möglich, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Eine von diesem Grundsatz abweichende Vereinbarung ist gemäß § 22 TzBfG auch durch einen Tarifvertrag nicht zulässig.
Die Antwort auf die Frage, ab wann eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegt, wirft in der Praxis häufig Schwierigkeiten auf. Jedenfalls, so das BAG in seinem Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18), müsse auf den Sinn und Zweck der Zahlung einer zusätzlichen Vergütung abgestellt werden. In dieser Entscheidung aus dem Jahre 2018 hatte das BAG festgestellt, dass Überstundenzuschläge bereits für die zusätzlich geleistete Arbeitszeit zu zahlen sind, die über die individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht.
Die Frage nach dem Sinn und Zweck der Mehrflugdienststundenvergütung wird daher auch im vorliegenden Verfahren beantwortet werden müssen, um eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen Voll- und Teilzeitkräften bestätigen oder ablehnen zu können.
EuGH wird voraussichtlich dieses Jahr eine Entscheidung treffen
Es ist zu hoffen, dass der EuGH die vom BAG vorgelegten Fragen im Sinne der Entscheidung des LAG München beantwortet, denn im hier zu entscheidenden Fall ist Folgendes zu berücksichtigen:
Die Mehrflugstundenzuschläge sind keine Vergütung, die pro rata temporis auch von den Teilzeitkräften zu beanspruchen wäre. Vielmehr stellen sie einen Ausgleich für die besondere Beanspruchung der Mitarbeiter dar und sollen die Arbeitgeberin von der Anordnung überlanger Arbeitszeiten abhalten. Auch nach bisheriger Ansicht des BAG kann der Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge allein davon abhängig gemacht werden, dass über ein bestimmtes Tages- oder Wochenarbeitsvolumen hinaus gearbeitet wird, wenn damit im Wesentlichen der Zweck verfolgt wird, eine grundsätzlich. zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch zusätzliches Entgelt auszugleichen. Ist das der Fall, ist die Ungleichbehandlung nach § 4 I 1 TzBfG gerechtfertigt.