24.10.2024 | Bau- und Immobilienrecht
Problem
Verzögert sich ein Bauvorhaben, ist das für alle Parteien misslich und führt meist zu wechselseitigen Forderungen. Die Chancen, solche Ansprüche erfolgreich durchzusetzen, sind allerdings zwischen Auftraggeber- und Auftragnehmerseite unausgewogen verteilt:
- Ist der Auftragnehmer für den Verzug verantwortlich, steht dem Auftraggeber in der Regel ein Schadensersatzanspruch zu. Denn häufig ist der Auftragnehmer verpflichtet, ein Bauvorhaben zu einem bestimmten Termin fertigzustellen. Schafft er das (ggf. trotz Mahnung) nicht, gerät er in Verzug.
- Liegen die Gründe dagegen in der Sphäre des Auftraggebers, sind die Hürden erheblich höher: Die Gerichte stufen die meisten Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers nämlich als bloße Obliegenheiten ein. Zudem sind andere Gewerke häufig keine Erfüllungsgehilfen des Bauherrn. Ohne Pflicht keine Pflichtverletzung, und ohne (zurechenbares) Verschulden kein Schadensersatzanspruch (§ 280 Abs. 1 BGB). Entgangenen Gewinn gibt es nach der VOB/B ohnehin nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit (§ 6 Abs. 6 Satz 1 VOB/B). Dem Auftragnehmer bleibt mithin nur ein Anspruch nach § 642 BGB.
Das ist indes in doppelter Hinsicht unbefriedigend: Zum einen knüpft die Rechtsprechung (sehr) hohe Anforderungen daran, einen solchen Anspruch darzulegen. Zum anderen ist – selbst wenn das gelingt – die Entschädigung nach § 642 BGB nicht vergleichbar mit einem Schadensersatzanspruch. Der Auftragnehmer erhält lediglich eine „angemessene Entschädigung“, und diese auch nur für die Dauer des Annahmeverzugs. Material- und Lohnsteigerungen, die sich erst auswirken, wenn der Bau fortgesetzt wird, bleiben damit außen vor.
Der BGH hat selbst erkannt, dass ein Anspruch aus § 642 BGB die Nachteile des Auftragnehmers nur unzureichend kompensiert, und deshalb darauf hingewiesen, dass er in diesen Fällen auch kündigen kann (§ 643 BGB, vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2017, VII ZR 16/17). Allerdings werden es sich die meisten Auftragnehmer gut überlegen, auf diese Weise vorschnell aus einem Vertrag auszusteigen – und zu riskieren, dass ein Gericht die Kündigung als unberechtigte Leistungsverweigerung deutet. Auch das Kündigungsrecht als vermeintlich scharfes Schwert stellt mithin keine zufriedenstellende Alternative dar.
Fall
Eine Konstellation, in der sich diese Problematik zeigt, hatte jüngst das Kammergericht Berlin (KG) zu entscheiden. Der dortige Auftraggeber hatte seinen Auftragnehmer mit der Ausstattung einer Großküche auf Grundlage eines VOB/B-Einheitspreises beauftragt. Jedenfalls aus Sicht des klagenden Auftragnehmers war dafür ein Feinaufmaß erforderlich, um die passgenauen Materialien bei seinen Lieferanten bestellen zu können. Nur so sei die rechtzeitige Fertigstellung sichergestellt gewesen. Für das Feinaufmaß hätte der Auftraggeber jedoch zunächst die entsprechenden Vorleistungen (z. B. Fliesen) zur Verfügung stellen müssen. Weil das nicht (rechtzeitig) geschehen war, verlangte der Auftragnehmer Ersatz für die Preiserhöhungen seiner Lieferanten.
Entscheidung
Auch wenn das KG die Berufung zurückgewiesen hat, hat es einen (verschuldensunabhängigen) Anspruch im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B grundsätzlich bestätigt. Gescheitert ist der Auftragnehmer lediglich daran, dass er weder die Verschiebung noch die Mehrvergütung konkret darlegen konnte.
Hätte er das getan, hätten gute Erfolgsaussichten bestanden. Dem KG zufolge kann es ein Auftragnehmer nämlich bereits dann als „andere Anordnung“ des Auftraggebers verstehen, wenn dieser ihm – wenn auch nur konkludent – mitteilt, dass seine Leistung (hier: Feinaufmaß) aufgrund einer Verzögerung der Vorgewerke erst später durchgeführt werden könne. Wenn für den Auftraggeber dabei auch noch erkennbar sei, dass dem Auftragnehmer dadurch Mehrkosten entstehen können, liege darin eine Anordnung – selbst wenn sich diese nur auf Vorleistungen beziehe.
Erforderlich ist dafür nach dem KG, dass sich aus dem Bauvertrag ein zeitlicher Ablauf ergibt, den der Auftragnehmer als verlässlich ansieht und den der Auftraggeber nicht nur unerheblich ändert (und dies mitteilt). Der Höhe nach erhält der Auftragnehmer dann die Differenz der Kosten, die er tatsächlich aufgrund der Verschiebung aufwenden musste, und der Kosten, die ihm ohne die Verschiebung entstanden wären. Diese muss der Auftragnehmer aber auch konkret vorrechnen.
Ausblick
Ob sich die Ansicht des KG durchsetzen wird, ist fraglich. Das KG selbst sieht zwar ausdrücklich keine Abweichung von der BGH-Rechtsprechung. Diese geht aber davon aus, dass allein eine Störung des Vertrags wegen einer Verzögerung der Bauausführung noch nicht als Anordnung gewertet werden und daher auch nicht zu Ansprüchen nach § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B führen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2017, Az. VII ZR 16/17). Es ist daher zweifelhaft, ob es bereits genügt, dass sich die Parteien über die Störung zusätzlich austauschen (was fast immer der Fall sein wird), um von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Allerdings hat zum einen bereits das Brandenburgische Oberlandesgericht ähnlich auftragnehmerfreundlich entschieden (Urteil vom 25.06.2020, Az. 12 U 59/19). Zum anderen verfügen Auftragnehmer mit der Entscheidung des KG nun zumindest über schlagkräftige „Munition“ für außergerichtliche Verhandlungen, die dazu beitragen dürfte, dass sich das Gewicht wieder etwas zugunsten des Auftragnehmers verschiebt.
Wer auf Nummer sicher gehen will, regelt als Auftragnehmer bestimmte Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers von vornherein als echte Pflichten im Vertrag (und ebnet so den Weg für einen Schadensersatzanspruch). In jedem Fall unabdingbar bleibt auch nach dem Urteil des KG die saubere Dokumentation der Terminverschiebung und der Kostenfolgen.