25.06.2024
1. Problemstellung beim Zugang von schriftlichen Erklärungen
Ist der Zugang einer schriftlichen Erklärung streitig, streitet also der Empfänger ab, die schriftliche Erklärung, z.B. einen Brief, erhalten zu haben, muss der Absender den Zugang beim Empfänger nachweisen. Für diesen Nachweis stehen den Parteien im Zivilprozess grundsätzlich eine abschließende Auflistung von Beweismitteln zur Verfügung, welche im Falle des Einwurfeinschreibens in der Regel jedoch nicht geeignet sind, den Zugangsnachweis zu führen. Die entsprechenden Belege erfüllen grundsätzlich nicht die Voraussetzungen des Urkundenbeweises und auch der Zeugenbeweis durch Vernehmung des Postzustellers wird sich regelmäßig als schwierig erweisen: Lässt sich ausnahmsweise der Name des Postzusteller herausfinden, wird in der Praxis eine Beweisaufnahme grundsätzlich jedoch erst mehrere Monate nach dem in Streit stehenden Zustellzeitpunkt stattfinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Zusteller auch nach dieser Zeit noch an die Zustellung der konkreten Sendung erinnern wird, dürfte sehr gering sein. Daneben hat die Rechtsprechung den sogenannten Anscheinsbeweis entwickelt. Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich nicht um ein besonderes Beweismittel, sondern um den konsequenten Einsatz von Sätzen der allgemeinen Lebenserfahrung bei der Überzeugungsbildung im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO, so BGH, Urteil vom 17.06.1997 - X ZR 119/94. Der Anscheinsbeweis unterscheidet sich von Feststellungen nach den allgemeinen Beweisregeln gerade dadurch, dass der konkrete Geschehensablauf nicht festgestellt zu werden braucht, weil von einem typischen, durch die Lebenserfahrung bestätigten gleichförmigen Hergang ausgegangen werden kann, so BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17.So ist beispielsweise eine Bauaufsichtsverletzung des Architekten grundsätzlich anzunehmen, wenn das von ihm zu überwachende Werk mangelhaft ist, so BGH, Versäumnisurteil vom 16.05.2002 - VII ZR 81/00. Der Anscheinsbeweis ist entkräftet (erschüttert), wenn der Gegner die ernsthafte Möglichkeit eines anderweitigen Geschehensablaufs beweist, so BGH, Urteil vom 6.10.2016 – I ZR 154/15. Den Anscheinsbeweis kann der Architekt im vorgenannten Beispiel dann gegebenenfalls erschüttern, wenn er seinerseits darlegt, was er oder sein Erfüllungsgehilfe an Überwachungsmaßnahmen geleistet hat.
Der BGH hat in seinem Urteil vom 27.09.2016 - II ZR 299/15 erklärt, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Anscheinsbeweis für den Zugang einer per Einwurf-Einschreiben versandten Erklärung angenommen werden kann. Hierbei kommt häufig die Frage auf, ob der Anscheinsbeweis für den Zugangs allein durch den Einlieferungsbeleg und den Sendungsstatus geführt werden kann.
2. Ablauf beim Einwurf-Einschreiben
Beim Einwurf-Einschreiben erfolgt die Ablieferung durch Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers. Unmittelbar vor dem Einwurf zieht der Postangestellte das so genannte „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dieser ab und klebt es auf den so vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg. Auf diesem Beleg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datums- sowie Uhrzeitangabe die Zustellung in den Empfängerbriefkasten. Der dabei gefertigte Auslieferungsbeleg wird dann in einem Lesezentrum zentral für Deutschland eingescannt, so dass die genauen Auslieferungsdaten zur Verfügung stehen. Zwar wird das Original des Auslieferungsbelegs beim Scanvorgang zerstört, jedoch kann der Absender anschließend bei einem Callcenter der Deutschen Post AG gegen Zahlung einer Gebühr einen Ausdruck des elektronisch archivierten Auslieferungsbelegs erhalten, auf dem Datum und Ort des Einwurfs sowie das Namenszeichen des Mitarbeiters der Deutschen Post AG festgehalten sind. Das Abrufen dieses Auslieferungsbelegs ist nur innerhalb von 15 Monaten nach Auslieferung des Einwurf-Einschreibens möglich.
3. Vorlage des Einlieferungs- und Auslieferungsbelegs
Ist der Zugang einer schriftlichen Erklärung per Einwurf-Einschreiben streitig, begründet die Kombination von Einlieferungsbeleg der Post und Sendungsstatus der Post noch keinen Beweis des ersten Anscheins für den Zugang. Dieser Schluss ist erst gerechtfertigt, wenn das unter 2. beschriebene ordnungsgemäße Zustellungsverfahren eingehalten und der Einlieferungsbeleg zusammen mit der Reproduktion des Auslieferungsbelegs im Prozess vorgelegt wurde. (Nur) in diesem Fall streitet der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, so BGH, Urteil vom 27.09.2016 - II ZR 299/15; BGH, Beschluss vom 11.05.2023 – V ZR 203/22.
4. Fazit mit Hinweis für die Praxis
Der Zugang von schriftlichen Erklärungen per Einwurf-Einschreiben durch die Deutschen Post AG ist nur dann als bewiesen anzusehen, wenn das ordnungsgemäße Zustellungsverfahren eingehalten wurde und sowohl der Einlieferungsbeleg als auch der Auslieferungsbeleg vorgelegt werden.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Absender, die den Zugang einer schriftlichen Erklärung sicher nachweisen wollen, stets sowohl den Einlieferungsbeleg als auch die Reproduktion des Auslieferungsbelegs aufbewahren und im Streitfall vorlegen sollten. Es empfiehlt sich daher zudem, die Reproduktion des Auslieferungsbeleg innerhalb der Frist von 15 Monaten nach Auslieferung anzufordern.