08.12.2023 | Vergaberecht
Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Urteil vom 15. November 2023 den Zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig. Unmittelbar betroffen ist der Klima- und Transformationsfonds, mittelbar auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie und der Fonds Aufbauhilfe 2021. Das Bundesministerium der Finanzen verhängte daraufhin eine Haushaltssperre, die nahezu den gesamten Bundeshaushalt betrifft. Diese Haushaltssperre kann sich im Einzelfall auf die Landeshaushalte auswirken, soweit dort Gelder, die aus dem betroffenen Bundeshaushalt stammen, verplant worden sind. Neben originären Auftraggebern, für die die öffentlichen Haushaltsmittel elementare Finanzierungsgrundlage sind, müssen bei geförderten Projekten auch (private) Fördermittelempfänger prüfen, ob bewilligte Förderungen weiterhin für die Förderzwecke verwendet werden können oder ein Widerruf der Förderung droht.
Infolge des Urteils steht noch nicht fest, welche Mittel im Bundeshaushalt 2023 bereitgestellt wurden und welche Gelder für das kommende Jahr zur Verfügung stehen. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Planung und Durchführung der Vergabe öffentlicher Aufträge. Dabei müssen Auftraggeber im Kern vier Szenarien voneinander trennen:
Szenario 1: Die Ausschreibung wird vorbereitet, die Finanzierung ist aber noch nicht gesichert.
Soweit die Finanzierung der zu vergebenden Leistungen nicht gesichert ist, darf ein Auftraggeber die Leistung grundsätzlich nicht ausschreiben. Dies folgt aus dem Grundsatz der (finanziellen) Ausschreibungsreife. Danach dürfen Auftraggeber die zu erbringende Leistung erst ausschreiben, wenn die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.
Liegt keine gesicherte Finanzierung vor, ist etwa für kurzfristig benötigte Leistungen zu prüfen, ob ein Auftraggeber durch entsprechende Hinweise und Vorbehalte in den Vergabe- und Vertragsunterlagen von diesem Grundsatz abweichen und die Ausschreibung dennoch starten darf. Relevant kann dies auch für die Aufhebung einer solchen Ausschreibung werden, sollte die Finanzierung auch nach Auftragsbekanntmachung nicht gesichert werden können.
Szenario 2: Die Ausschreibung ist trotz ungesicherter Finanzierung bekannt gemacht worden, die Angebotsfrist läuft noch.
Hat ein Auftraggeber ein Vergabeverfahren ohne gesicherte Finanzierung eingeleitet und läuft die Angebotsfrist noch, ist es zur Überbrückung des aktuell rechtsunsicheren Zeitraums zunächst denkbar, die Angebotsfrist zu verlängern. Gleichzeitig muss der Auftraggeber prüfen, ob eine Änderung der Vergabeunterlagen durch Aufnahme von Hinweisen auf die Finanzierungssituation und Vorbehalten erforderlich ist. Alternativ sollte der Auftraggeber prüfen, ob eine rechtmäßige Aufhebung des Vergabeverfahrens zulässig ist.
Szenario 3: Die Ausschreibung ist trotz ungesicherter Finanzierung bekannt gemacht worden und die Angebotsfrist ist abgelaufen.
Ist die Finanzierung auch nach Ablauf der Angebotsfrist (noch) ungesichert, muss der Auftraggeber prüfen, ob eine Verlängerung der Bindefrist zweckmäßig erscheint, ein Zuschlag erteilt werden kann oder eine Aufhebung des Vergabeverfahrens erforderlich und gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang muss der Auftraggeber prüfen, ob Aufhebungsgründe im Sinne der §§ 63 VgV, 48 UVgO, 17 EU VOB/A bzw. 17 VOB/A vorliegen.
Szenario 4: Zuschlagserteilung vor Verhängung der Haushaltssperre bei ungesicherter Finanzierung
Hier gilt der allgemeine Grundsatz pacta sunt servanda. Der öffentliche Auftraggeber ist an den Vertrag gebunden. Er kann sich nicht ohne Weiteres von ihm lösen, insbesondere wenn keine von diesem Grundsatz abweichenden Regelungen vereinbart worden sind. Trotz der Haushaltssperre sind bereits eingegangene Verpflichtungen einzuhalten.