03.08.2023 | Kartellrecht
I. Sektoruntersuchung und aktive Beseitigung von Wettbewerbsstörungen
Der Gesetzgeber stärkt mit der 11. GWB-Novelle das Instrument der sog. Sektoruntersuchung. Diese behördlichen Marktstudien setzen keinen konkreten Verdacht auf Kartellrechtsverstöße voraus und sind demgemäß auch nicht gegen ein einzelnes Unternehmen gerichtet. Das Bundeskartellamt hat Sektoruntersuchungen bereits in vielen Wirtschaftsbereichen durchgeführt, etwa zu Online-Werbung, Ladesäulen oder Krankenhäusern. Bisher wurden die Untersuchungen mit einem Bericht des Bundeskartellamts beendet.
Neu ist, dass das Bundeskartellamt im Anschluss an Sektoruntersuchungen nun auch konkrete Maßnahmen gegen Unternehmen ergreifen kann, selbst wenn diese nicht gegen das Kartellrecht verstoßen haben (§ 32 f GWB), aber eine Wettbewerbsstörung in einem untersuchten Markt zu besorgen ist.
Die Voraussetzungen für einen solchen Eingriff liegen schon vor, wenn das Bundeskartellamt zum Schluss kommt, dass seine bestehenden Befugnisse nicht ausreichend erscheinen, eine im Zuge der Sektoruntersuchung festgestellte Wettbewerbsstörung wirksam und dauerhaft zu beseitigen. Da die bestehenden Befugnisse des Bundeskartellamts nahezu ausnahmslos einen Kartellrechtsverstoß voraussetzen, dürfte es oft der Fall sein, dass diese Befugnisse als nicht ausreichend erscheinen, um unter der Schwelle des Kartellrechtsverstoßes tätig zu werden. Mit der Wettbewerbsstörung stellt der Gesetzgeber ein niedrigschwelliges Eingriffskriterium neben die im Kartellrecht seit langem verankerte Wettbewerbsbeschränkung. Eine Wettbewerbsstörung kann bereits bejaht werden, wenn Nachfrage- oder Angebotsmacht besteht.
Maßnahmen, die zur Beseitigung der sog. Wettbewerbsstörung angeordnet werden können, sind etwa die Pflicht zur Zugangsgewährung zu Daten oder Schnittstellen, die Pflicht zur Verwendung bestimmter Vertragstypen oder -gestaltungen bis hin zu einer Pflicht zur Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.
Daneben eröffnet die 11. GWB-Novelle dem Bundeskartellamt die Möglichkeit, Unternehmen im Nachgang der Sektoruntersuchung zu verpflichten, für die Dauer von drei Jahren jeden Unternehmenszusammenschluss mit eigener Beteiligung anzumelden. Für diese erweiterte Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen reichen bereits objektive Anhaltspunkte für eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs durch künftige Zusammenschlüsse. Zwar müssen die beteiligten Unternehmen gewisse Umsatzschwellen erreichen, um verpflichtet werden zu können. Die Schwellen sind jedoch gegenüber denen der bekannten Zusammenschlusskontrolle erheblich abgesenkt.
Folgen für die Praxis
Es ist zu erwarten, dass das Bundeskartellamt von der Sektoruntersuchung und dem hieran anknüpfenden Instrumentarium bald Gebrauch machen wird und Sektoruntersuchungen gezielter einsetzt. Sprechen Sie uns gern an, wenn ihr Wirtschaftsbereich von einer Sektoruntersuchung betroffen ist. Es ist wichtig, bereits während der Untersuchung die Weichen richtig zu stellen, um das Unternehmen ideal zu positionieren.
II. Stärkung der Vorteilsabschöpfung durch Kartellbehörden
Zweitens wird durch die 11. GWB-Novelle die Vorteilsabschöpfung als kartellrechtliches Instrument gestärkt. Das Bundeskartellamt kann schon seit langem die Abschöpfung eines monetären Vorteils anordnen, der einem Unternehmen wegen seines Kartellrechtsverstoßes zugeflossen ist (§ 34 GWB). Praktische Relevanz hat die Vorschrift aber bisher kaum entfaltet. Dies will der Gesetzgeber nun ändern. Er vereinfacht die Anwendung der Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde. Das Gesetz enthält nun eine Vermutung, dass ein solcher wirtschaftlicher Vorteil von dem betreffenden Kartellrechtsverstoß verursacht wurde. Die Höhe des Vorteils kann durch die Kartellbehörde geschätzt werden, wobei bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Vorteilshöhe ausreicht.
Folgen für die Praxis
Diese Art der Schätzung ist (mit einem strengeren Beweismaß) bereits aus deutschen Kartellschadensersatzverfahren bekannt. Die neu gestaltete Vorteilsabschöpfung stellt sich neben die Durchsetzung privater Kartellschadensersatzansprüche gegen Unternehmen, die kartellrechtswidrig andere Unternehmen geschädigt haben. Das finanzielle Risiko von Rechtsverstößen im Bereich Kartellrecht bleibt daher unvermindert hoch. Umso wichtiger ist es, bereits im Vorfeld die Einhaltung der relevanten kartellrechtlichen Verbote prüfen zu lassen.
III. Implementierung des Gesetzes über digitale Märkte (DMA)
Schließlich sieht die 11. GWB-Novelle noch Regelungen zur Implementierung des im Mai 2023 in Kraft getretenen europäischen Digital Markets Act („DMA“) vor. Der DMA soll Wettbewerbsprobleme in Bezug auf zentrale Online-Plattformdienste lösen. Die Anbieter dieser Dienste werden von der Europäischen Kommission als sog. „Gatekeeper“ (zeitlich befristet) benannt und unterliegen dann besonderen Pflichten im Geschäftsverkehr. So soll ein faires Geschäftsumfeld für die Nutzer der zentralen Plattformdienste des Gatekeepers geschaffen werden, das etwa ungerechtfertigte Diskriminierung, Zugangsverweigerung und unfaire Bedingungen unterbindet.
Die 11. GWB-Novelle greift diese Entwicklung auf. Geregelt wird nun einerseits die unterstützende Rolle des Bundeskartellamtes bei der Durchsetzung des DMA durch die Europäische Kommission. Andererseits – und dies könnte eine größere Relevanz für die Praxis entfalten – wird die Durchsetzung des DMA auf dem Zivilrechtsweg, d. h. durch von einem Verstoß gegen den DMA betroffene Geschäfts¬partner und Nutzer des zentralen Plattformangebots des Gatekeepers, vor deutschen Gerichten konkretisiert. Hierbei wird auf aus dem Kartellschadensersatzrecht bekannte Erleichterungen der Anspruchsdurchsetzung, wie die Bindungswirkung behördlicher Entscheidungen im Zivilprozess, zurückgegriffen. Auf welche Anspruchsgrundlage hierfür zurückgegriffen werden wird, wurde nicht geregelt.
Folgen für die Praxis
Auf welche Anspruchsgrundlage für Ansprüche wegen Verstößen von Gatekeepern gegen den DMA zurückgegriffen werden soll, wurde durch die 11. GWB-Novelle nicht geregelt. Die Nähe zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Kartellschadensersatz ist jedoch unverkennbar. Sprechen Sie uns gern an und profitieren Sie von unserer Expertise im Kartellschadens¬ersatzrecht.