03.08.2022 | Venture Capital / M&A
In der Entwicklung eines Startups gibt es immer wieder die Notwendigkeit, die Beteiligungsverhältnisse der Gesellschafter zu korrigieren, zum Beispiel weil Gründerinnen oder Gründer in vorherigen Finanzierungsrunden stark verwässert wurden und Investoren der Folgerunde eine entsprechende Korrektur der Beteiligungsverhältnisse (d.h. eine stärkere Incentivierung des Gründerteams) verlangen. Gründerinnen und Gründer haben gerade in späteren Phasen oft nicht die finanziellen Ressourcen, um den Marktwert für die Anteile an ihrem Start-up aufzubringen. Deshalb sollen die Anteile möglichst zu nominal ausgegeben werden. Sofern (zukünftige) Gesellschafter allerdings Anteile für einen Preis erwerben, der unter dem Marktwert liegt, führt das regelmäßig zu einem geldwerten Vorteil, der zu versteuern ist. Growth Shares können ein geeignetes Instrument sein, um diese Probleme zu vermeiden. Andere Rechtsordnungen kennen Growth Shares bereits als eigene Anteilsklasse. So können z.B. in Großbritannien originäre Growth Shares in den vorstehend genannten Fällen an Gründerinnen und Gründer ausgegeben werden. Das deutsche Recht kennt diese Anteilsklasse leider bisher nicht, sodass sich die hiesige Beratungspraxis aktuell darauf beschränkt, das Growth Share Konzept vertraglich nachzubauen. Es folgt ein Überblick zu den wesentlichen Merkmalen von Growth Shares:
I. Was sind Growth Shares?
Inhaber von Growth Shares partizipieren am Wertzuwachs des Unternehmens ausschließlich oberhalb des Wertes, den das Unternehmen im Ausgabezeitpunkt der Growth Shares hat. Growth Shares sind mit einer sog. negativen Liquidationspräferenz in Höhe des Unternehmenswerts zum Ausgabezeitpunkt (wird häufig auch als sog. Hurdle bezeichnet) ausgestattet. Ohne Wertzuwachs haben die Growth Shares keinen wirtschaftlichen Wert und den Gründerinnen und Gründern fließt damit im Ausgabezeitpunkt kein geldwerter Vorteil zu. Das nachfolgende Diagramm veranschaulicht die Beteiligung von Growth Shares am Unternehmenswert im Vergleich zu klassischen Stammanteilen (Common Shares):
Für die Übernahme der Growth Shares haben Gründerinnen und Gründer lediglich den Nominalwert der Anteile aufzubringen. Growth Shares können auch die Möglichkeit bieten, die „leidigen“ eigenen Anteile der Gesellschaft im Cap Table „loszuwerden“. Die eigenen Anteile können für die Implementierung des Growth Share Konzepts an die Gründerinnen oder Gründer übertragen und als Growth Shares requalifiziert werden.
Für die Growth Shares wird in die bestehende Beteiligungsdokumentation des Start-ups in der Regel eine neue Anteilsklasse eingeführt. Growth Shares haben grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten, insbesondere dasselbe Stimmrecht, wie Common Shares. Sie partizipieren im Wasserfall von den auf die Inhaber von Common Shares zu verteilenden Erlösen üblicherweise auf Ebene der Common Shares, sind jedoch mit einer negativen Liquidationspräferenz ausgestattet. Bei den auf Inhaber von Growth Shares zu verteilenden Erlöse sind demnach üblicherweise die bestehenden Liquidationspräferenzen und die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus gegebenenfalls bestehenden Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen in Abzug zu bringen.
II. Wie sieht eine negative Liquidationspräferenz konkret aus?
Im Folgenden soll überblicksartig auf die Berechnung der negativen Liquidationspräferenz eingegangen werden, wobei sich eine pro rata Betrachtung anbietet, um in der Beteiligungsdokumentation auch für Teilverkäufe/-exits eine gut handhabbare Berechnungsgrundlage zu verankern:
Zunächst wird der Erlös berechnet, der auf jeden im Rahmen einer Transaktion verkauften Common Shares entfällt, indem der auf die Common Shares entfallende Reinerlös der zugrundeliegenden Transaktion durch die Anzahl der veräußerten Anteile geteilt wird.
Im Gegensatz zu den übrigen Anteilen der Gesellschaft wird bei den Growth Shares sodann der Abzugsbetrag subtrahiert. In Höhe des Abzugsbetrags werden Growth Shares nicht am Erlös beteiligt, sondern die Growth Shares müssen in diesem Umfang bei der Verteilung unter den Inhabern von Common Shares zunächst „aufholen“. Aufgrund des Abzugsbetrags partizipieren die Inhaber von Growth Shares nicht am Unternehmenswert des Start-ups zum Zeitpunkt der Ausgabe der Growth Shares und also auch nicht an den zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen stillen Reserven. Häufig werden Growth Shares im Rahmen einer Finanzierungsrunde ausgegeben, sodass der für die Growth Shares maßgebliche Unternehmenswert in der Regel der pre-Money-Bewertung dieser Finanzierungsrunde entspricht und sich der Abzugsbetrag aus dem Quotienten (i) der pre-Money-Bewertung der Finanzierungsrunde und (ii) dem Stammkapital der Gesellschaft ermittelt. Hinsichtlich des Stammkapitals gibt es die Möglichkeit, entweder auf das eingetragene oder fully-diluted Stammkapital abzustellen.
Die negative Liquidationspräferenz findet entsprechende Anwendung auf Gewinnausschüttungen im Rahmen eines Asset Deals oder Ausschüttung von Liquidationserlösen.
Unter Umständen möchten die Gesellschafter vor Umsetzung der Finanzierungsrunde zunächst eine Lohnsteueranrufungsauskunft (dazu Ziffer III) einholen und das geplante Growth Share Konzept erst nach Erhalt eines positiven Bescheids umsetzen. Um die Finanzierungsrunde nicht aufzuhalten, kann in dieser Situation die Beteiligungsdokumentation der Finanzierungsrunde bereits eine Verpflichtung der übrigen Gesellschafter vorsehen, alle für die Umsetzung des Growth Share Konzepts erforderlichen Maßnahmen nach positiver Bescheidung der Lohnsteuer-anrufungsauskunft unverzüglich vorzunehmen. In der Folge werden Growth Shares erst nach dem Investment der Investoren ausgegeben, sodass in diesem Fall üblicherweise für die Ermittlung des Abzugsbetrags auf die post-Money-Bewertung der Gesellschaft abgestellt wird. Der Abzugsbetrag wird dann jedoch auch unter Berücksichtigung des erhöhten Stammkapitals ermittelt, sodass sich, wirtschaftlich betrachtet, für die Gründerinnen und Gründer keine Änderungen ergeben.
III. Lohnsteueranrufungsauskunft und verbindliche Auskunft
Es bietet sich an, das Growth Share Konzept mit einer Lohnsteueranrufungsauskunft auf Ebene der Gesellschaft zu flankieren. Im Rahmen der Lohnsteueranrufungsauskunft überprüft das zuständige Finanzamt, ob die Ausgabe der Growth Shares einen geldwerten Vorteil darstellt.
Für noch weitergehende Sicherheit kann auf Ebene der Gesellschafter, d.h. der Gründerinnen und Gründer, eine verbindliche Auskunft beantragt werden. Zu beachten ist allerdings, dass eine verbindliche Auskunft mehr Zeit in Anspruch nimmt, mehr Kosten verursacht und eine Durchsetzungssperre besteht.
Die Umsetzung des Growth Share Konzepts sollte unbedingt steuerlich durch entsprechend spezialisierte Steuerberater begleitet werden. Sprechen Sie uns bei Fragen rund um das Thema Growth Shares gerne an.