Zusammenlegung von Betrieben zu einem Gemeinschaftsbetrieb: Betriebsverfassungsrechtliche Auswirkungen

 Christoph Valentin

Christoph Valentin

Mehrere Unternehmen können sich zu einem sog. Gemeinschaftsbetrieb zusammenschließen, ohne sich dem Risiko einer Arbeitnehmerüberlassung auszusetzen. Doch was passiert mit den Betriebsvereinbarungen sowie Betriebsratsmandaten?

Zusammenlegung von Betrieben zu einem Gemeinschaftsbetrieb: Betriebsverfassungsrechtliche Auswirkungen
Zusammenlegung von Betrieben zu einem Gemeinschaftsbetrieb: Betriebsverfassungsrechtliche Auswirkungen

28.06.2021 | Arbeitsrecht

Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen

Im Zuge von Restrukturierungen besteht zum Teil der Wunsch, das Know-how mehrerer Unternehmen zu bündeln und Infrastrukturen zukünftig gemeinsam zu nutzen. Arbeitnehmer sollen hierzu unternehmensübergreifend eingesetzt und durch zentrale Strukturen geführt werden. Eine Möglichkeit hierzu bietet die Gründung eines sog. Gemeinschaftsbetriebs, welcher als einheitlicher Betrieb mehrerer Arbeitgeber geführt wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) liegt regelmäßig ein einheitlicher Betrieb als Anknüpfungspunkt für die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird.

Dies ist auch dann möglich, wenn sich mehrere Unternehmen zu einer gemeinsamen Betriebsführung verabreden und einen Gemeinschaftsbetrieb errichten. Dafür ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Material- und Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist (BAG, Beschluss vom 24.01.1996, Az.: 7 ABR 10/95). Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird (sog. Führungsvereinbarung).

Wesentliches Kriterium für einen Gemeinschaftsbetrieb ist daher die Teilung der Arbeitgeberfunktionen aufgrund der Führungsvereinbarung, wobei die individualvertragliche Zuordnung der Arbeitnehmer hiervon unberührt bleibt.

Vor- und Nachteile eines Gemeinschaftsbetriebs

Ein wesentlicher Vorteil der Errichtung eines Gemeinschaftsbetriebs besteht darin, dass durch dessen Gründung und die sich hieraus üblicherweise ergebenden organisatorischen Veränderungen vormals bestehende Arbeitnehmervertretungen zu Gunsten eines neuen einheitlichen Betriebsrats „geglättet“ und auch bestehenden Betriebsvereinbarungen ggf. die Grundlage entzogen werden kann. Ein weiterer vorteilhafter Nebeneffekt ist, dass sich nach gefestigter Rechtsprechung die Führung eines Gemeinschaftsbetriebs und das Konstrukt der Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich gegenseitig ausschließen. Daher kann die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs das sehr haftungsträchtige Risiko vermeiden, dass sich unternehmensübergreifende Zusammenarbeiten und Kooperationen als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung entpuppen.

Ein Nachteil der Schaffung eines Gemeinschaftsbetriebs liegt in der sich hieraus ergebenden unternehmensübergreifenden Sozialauswahl. Unabhängig von den arbeitsvertraglichen Rechtsbeziehungen sind hier alle vergleichbaren Arbeitnehmer des gesamten Gemeinschaftsbetriebs bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Weiterer Nachteil ist die Berücksichtigung aller im Gemeinschaftsbetrieb tätigen Arbeitnehmer bei den Schwellenwerten des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 Abs. 1 KSchG). Arbeitnehmer von vormals unterhalb der Schwellenwerte liegenden Ausgangsbetrieben können sich im Falle eines Gemeinschaftsbetriebs fortan auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen.

Auswirkungen auf bestehende Betriebsratsmandate

Die Zusammenlegung mehrerer Betriebe zu einem Gemeinschaftsbetrieb hat Auswirkungen auf die in den einzelnen Betrieben vormals bestehenden (Einzel-)Betriebsräte. Das BetrVG beruht auf der Annahme einer ausschließlich betriebsbezogenen Interessenvertretung durch die gewählten Repräsentanten der betriebsangehörigen Arbeitnehmer. Dazu knüpft es die Zuständigkeit des Betriebsrats an die Identität desjenigen Betriebs, für den er gewählt worden ist. Solange die Identität des Betriebs fortbesteht, behält der Betriebsrat das ihm durch die Wahl übertragene Mandat zur Vertretung der Belegschaftsinteressen und zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben (BAG, Urteil vom 19.11.2003, Az.: 7 AZR 11/03).

Betriebsidentität

Kommt es indes zu einem Verlust dieser betrieblichen Identität, so erlischt hierdurch das reguläre Mandat der gewählten Betriebsräte.

Die Bestimmung der Betriebsidentität ist im Einzelnen stark umstritten. Nach dem BAG können allgemein organisatorische Änderungen, wie z.B. die Zusammenfassung mehrerer Betriebe oder Betriebsteile zu einem Betrieb, einen Identitätsverlust bedeuten. Ebenfalls von Bedeutung für die Frage der Bestimmung der Betriebsidentität sind räumliche, funktionale und strukturelle Kriterien. Es geht darum, ob das betriebliche Substrat, auf das sich das Betriebsratsamt bezieht, bei der in Frage stehenden Änderung im Wesentlichen erhalten bleibt oder verloren geht (BAG, Urteil vom 24.05.2012, Az.: 2 AZR 62/11). Somit kommt insbesondere der betrieblichen Leitungsstruktur eine hervorgehobene Bedeutung bei der Beurteilung zu (BAG, Beschluss vom 15.10.2014, Az.: 7 ABR 53/12).

Übergangsmandat und Erlöschen der übrigen Betriebsratsmandate

Häufig dürfte im Falle der Zusammenlegung von Betrieben mehrerer Unternehmen aufgrund der hiermit einhergehenden Veränderungen in der Leitungsstruktur sowie der Umgestaltung der Organisationseinheiten zumindest von einem überwiegenden Identitätsverlust auszugehen sein. Die lokalen Betriebsräte verlieren daher im Zeitpunkt der Zusammenlegung zu einem Gemeinschaftsbetrieb ihr Mandat. Um auch nach der Zusammenlegung eine Arbeitnehmervertretung zu gewährleisten, regelt § 21a Abs. 2 BetrVG, dass dem Gremium des bislang größten Betriebs ein höchstens sechs Monate dauerndes Übergangsmandat bis zur Durchführung von Neuwahlen zukommt. Zu beachten ist, dass sich nach einhelliger Auffassung die Zuständigkeit des Übergangsmandats nach der Zusammenlegung auf den gesamten Gemeinschaftsbetrieb erstreckt, mithin auch Arbeitnehmer umfasst, die vorher einem betriebsratslosen Betrieb angehörten.

Auswirkungen der Schaffung eines Gemeinschaftsbetriebs auf die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen

Das Schicksal der vormals in den Ausgangsbetrieben geltenden Betriebsvereinbarungen im Falle einer Zusammenlegung ist im Einzelnen ebenfalls hoch umstritten. So können ggf. einzelne Betriebsvereinbarungen ihre Wirkung gänzlich verlieren, andere wiederum kollektiv- oder zumindest individualvertraglich so lange fortbestehen, bis ein für den neuen Betrieb gewählter Betriebsrat bzw. derjenige Betriebsrat, dem ein Übergangsmandat zukommt, diese Regelungen durch den Abschluss eigener Betriebsvereinbarungen mit Wirkung für den gesamten Gemeinschaftsbetrieb ablöst.

Untergang bei Verlust der Gestaltungswirkung

Mit der wohl herrschenden Ansicht ist davon auszugehen, dass bei einem Zusammenschluss zu einem neuen Betrieb die vormals in den Ausgangsbetrieben geltenden Betriebsvereinbarungen jedenfalls dann enden, soweit deren Regelungen gegenstandslos werden bzw. ihre Gestaltungsaufgabe verlieren.  Dies ist immer dann anzunehmen, wenn die alten Regelungen aufgrund der neuen betrieblichen Strukturen keine sinnvolle Anwendung mehr ermöglichen. Für diese Gruppe von Betriebsvereinbarungen tritt eine Beendigung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein.

​​​​​​​Sinnhaftigkeit einer kollektiven Fortgeltung

Eine kollektive Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen im Hinblick auf die ihnen zuvor unterfallenden Arbeitnehmer soll mit der wohl herrschenden Meinung dann gelten, wenn sich eine zuverlässige Zuordnung zu diesen Arbeitnehmern oder den betreffenden Betriebsteilen vornehmen lässt. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine räumliche oder organisatorische Abgrenzung des Betriebs- oder Betriebsteils möglich ist (sog. Teilidentität) und daher eine eigenständige Betriebsvereinbarung sinnvoll erscheint.  Nur wenn die gleichzeitige (und damit parallele) Anwendung der in den Ursprungsbetrieben geltenden Betriebsvereinbarungen sinnvoll nicht möglich ist, weil z.B. aus organisatorischen Gründen unterschiedliche Regelungen nicht durchführbar sind, sind derartige Betriebsvereinbarungen als gegenstandslos zu betrachten und demnach erloschen. Betriebsvereinbarungen, welche gerade aus Anlass der Zusammenlegung geschlossen wurden (beispielweise Sozialpläne), bleiben indes bestehen.

​​​​​​​Empfehlung

Da eine pauschale Beendigung sämtlicher Betriebsvereinbarungen bei der Schaffung eines Gemeinschaftsbetriebs nach der herrschenden Auffassung nicht eintritt, sind die an der Gründung beteiligten Unternehmen sowie deren Betriebsräte bereits bei der Planung und damit noch vor den Verhandlungen zu einem Interessenausgleich gut beraten, eine gründliche Bestandsaufnahme des Status Quo vorzunehmen. Hier muss im Einzelnen unter Berücksichtigung der zukünftigen Struktur für jeden Ausgangsbetrieb gesondert geprüft werden, ob ein Fortbestand der einzelnen Betriebsvereinbarungen sinnvoll und möglich ist. Nach Schaffung des Gemeinschaftsbetriebs sollte sodann mit dem hierfür zuständigen Betriebsrat eine Ablösung dieser Betriebsvereinbarungen durch neue einheitliche Vereinbarungen für den gesamten Gemeinschaftsbetrieb angestrebt werden.