17.06.2021 | Compliance & Internal Investigations, Gesellschaftsrecht
Bisheriger Stand: Kreditvergabe war kaufmännisch vertretbar
Der Bundesgerichtshof (Az.: 3 StR 628/19, Urteil vom 27.01.2021) hat ein Urteil des Landgerichts Duisburg aufgehoben, mit dem zwei Vorstandsmitglieder einer Sparkasse freigesprochen worden waren vom Vorwurf der Pflichtverletzung (Untreue) im Zuge einer Kreditvergabe.
Der Kunde, dem der Kredit letztlich zukommen sollte, war wegen ausstehender Kredite als Sanierungsfall geführt worden, ein Sanierungsberater sah jedoch gute Chancen für eine erfolgreiche Sanierung. Daraufhin gewährte die Sparkasse dem Sanierungsberater einen kurzfristigen Kredit in Höhe von € 600.000,00 der an den Kunden weitergeleitet werden sollte. Dieser Kredit war jedoch nicht vollständig abgesichert, vielmehr bestand nur in Höhe von € 100.000,00 eine persönliche Bürgschaft der solventen Gesellschafter des Sanierungsberaters sowie ein Stammkapital von € 50.000,00. In der Folge konnte der Kunde jedoch in Folge von Produktionsproblemen seinerseits den Darlehensbetrag nicht an den Sanierungsberater zurückbezahlen; deshalb bezahlte auch der Sanierungsberater den Kreditbetrag nicht an die Sparkasse zurück.
Das Landgericht Duisburg hatte die Auffassung vertreten, die Kreditvergabe durch die Vorstandsmitglieder sei kaufmännisch vertretbar gewesen, sie hätten mithin ihre Pflichten als Vorstandsmitglieder nicht verletzt. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aufgehoben.
Neue Entscheidung vom Bundesgerichtshof: Vorstand hat weitergehende Sorgfaltspflicht
Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass die Kreditvergabe eine unternehmerische Entscheidung ist, so dass dem Vorstand insoweit auch ein Ermessensspielraum zusteht. Die – hier strafrechtlich gem. § 266 StGB – eingekleidete Entscheidung betont weiter, dass eine Pflichtverletzung in diesem Sinne erst vorliegt, wenn die Grenzen unternehmerischen Handelns in unverantwortlicher Weise überschritten werden oder sonst Vermögensbetreuungspflichten aus anderen Gründen als pflichtwidrig einzustufen sind.
Wichtig ist, dass der Bundesgerichtshof sodann – hier für Kreditinstitute – weiter ausführt, dass interne Kompetenzregeln, die auch den Schutz des Vermögens der Gesellschaft betreffen, sodann bei Missachtung bereits zu einer Pflichtverletzung führen können. Dies betrifft etwa den Fall, dass Kredit- oder Beleihungsgrenzen nicht eingehalten werden oder dass die erforderliche Zustimmung eines anderen Gremiums nicht eingeholt wird. Bestehen solche detaillierten Vorgaben hingegen nicht oder werden sie eingehalten, ist eine Pflichtverletzung nur dann gegeben, wenn bei der Gesamtschau aller relevanten Umstände das Handeln des Vorstandsmitglieds als unvertretbar und sich der Fehler somit als evident darstellt. Es begründet also nicht jede Missachtung der gebotenen Sorgfalt bei der Entscheidungsfindung eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs 1 StGB. Beispielsweise die Verletzung von Informations- und Prüfungspflichten kann im Grundsatz oftmals nur indizielle Bedeutung zukommen. Bei der Kreditvergabe haben derartige formelle Pflichten aber eine besondere Bedeutung, weil zu den Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder insbesondere die umfassende Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Kreditnehmern gehört.
Im vorliegenden Fall bestanden lediglich in Höhe von etwa 1/6 der Darlehensvaluta Sicherheiten. Auch die übrigen Umstände der Darlehensvergabe waren ungewöhnlich und es wurde ihnen nicht angemessen Rechnung getragen.
Praxishinweis: Immer den Einzelfall prüfen
Die Entscheidung zeigt, wie sehr der Bundesgerichtshof im Einzelfall darauf abstellt, welche konkrete Sorgfalt für die jeweilige unternehmerische Entscheidung geschuldet ist. Dass vorliegend auf die Besonderheiten für die Kreditvergabe und die dafür bestehenden gesetzliche Regularien und internen Richtlinien abgestellt wurde, ist richtig. Aber auch in allen anderen Bereichen unternehmerischen Handelns kann die allgemeine Sorgfaltspflicht durch gesetzliche Vorgaben oder aber auch durch interne Regularien oder Branchenstandards konkretisiert werden. Eine unternehmerische Entscheidung, die sich abstrakt und ohne Betrachtung der konkreten Regularien als möglicherweise pflichtgemäß darstellt, kann unter Berücksichtigung der konkreten Standards sodann auch als pflichtwidrig anzusehen sein.
Vor diesem Hintergrund ist allgemeingültig – gleich ob für die Aktiengesellschaft oder GmbH, gleich ob in einem regulierten Bereich oder nicht – stets im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer unternehmerischen Entscheidung vorliegen und die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Ermessensspielraums bei unternehmerischen Entscheidungen ebenfalls eingehalten wurden. Große Bedeutung kommt auch der Dokumentation der Entscheidung zu, weil im Zweifelsfall die Vorstandsmitglieder beweispflichtig sind.
Die oben genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs betraf die strafrechtliche Seite einer solchen Pflichtverletzung. Gesellschaftsrechtlich laufen die Wertungen weitgehend gleich, doch kommt hier wegen der speziellen Regelung zur Beweislast der Vorstände/ Geschäftsführer der Dokumentation der Abwägung ebenfalls besondere Bedeutung zu.