08.06.2021 | Arbeitsrecht
Die Erkrankung eines Arbeitnehmers stellt für sich genommen keinen Kündigungsgrund dar. Dennoch können die negativen Auswirkungen einer häufigen oder andauernden Arbeitsunfähigkeit das gegenseitige Austauschverhältnis erheblich stören und im Einzelfall eine Kündigung rechtfertigen. Der folgende Beitrag liefert einen Überblick hinsichtlich krankheitsbedingter Kündigungen. In diesem Teil wird zunächst das von der Rechtsprechung entwickelte Prüfungsschema der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung allgemein dargestellt.
Arten der personenbezogenen Kündigung im Krankheitsfall
Die krankheitsbedingte Kündigung ist der praktisch bedeutsamste Fall der personenbezogenen Kündigung. Eine solche wird nach vier Arten unterschieden:
- häufige Kurzerkrankungen,
- lang andauernde Erkrankung,
- erhebliche krankheitsbedingte Leistungsminderung und
- dauerhafte Arbeitsunfähigkeit.
Prüfungsschema: Kündigungsgrund erforderlich mit sozialer Rechtfertigung
Ein Kündigungsgrund ist erforderlich, wenn dem Arbeitnehmer ein besonderer Kündigungsschutz zukommt. Dies ist der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und im Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. Eine Kündigung muss dann sozial gerechtfertigt sein. Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung wird nach ständiger Rechtsprechung des BAG in drei Stufen geprüft. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung eine negative Gesundheitsprognose vorliegt (1. Stufe), eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers besteht (2. Stufe) und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führt (3. Stufe). Im Rahmen der Interessenabwägung gewinnt die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX maßgebliche Bedeutung.
1. Stufe: Negative Gesundheitsprognose
Eine Kündigung darf keine Sanktion für vergangene Störungen des Arbeitsverhältnisses sein. Sie soll vielmehr zukünftige unzumutbare Belastungen des Arbeitgebers vermeiden. Aus diesem Grund kommt es auf eine Prognose zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung an. Eine negative Gesundheitsprognose besteht, wenn objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis begründen, dass der Arbeitnehmer in der Zukunft krankheitsbedingt seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang erfüllen wird. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung ist aus diesem Grund, dass auch in der Zukunft mit weiteren Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist. Die Beweislast dafür trägt der Arbeitgeber. Er hat hierzu Umstände aus der Vergangenheit vorzutragen, aus denen auf eine Wiederholungsgefahr geschlossen werden kann.
2. Stufe: Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Belange
Auf zweiter Prüfungsstufe obliegt es dem Arbeitgeber darzustellen, dass die nach der Prognose zu erwartenden künftigen Fehltage wegen Krankheit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Belange führen werden. Die Beeinträchtigung kann entweder auf Betriebsablaufstörungen oder auf erheblichen wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers beruhen. Faktoren wie die Unternehmensgröße und -struktur, die Position des Arbeitnehmers, die Art und Dauer der Erkrankung, sowie die Verfügbarkeit von Personalreserven spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die betrieblichen Belange sind insbesondere dann erheblich beeinträchtigt, wenn die Prognose ergibt, dass der Arbeitgeber künftig voraussichtlich länger als sechs Wochen Entgeltfortzahlung erbringen muss.
3. Stufe: Interessenabwägung
Eine Kündigung sollte stets das letzte Mittel („ultima ratio“) sein. Im Rahmen der Interessenabwägung ist daher zu prüfen, ob der Arbeitgeber die betrieblichen Beeinträchtigungen wegen der Besonderheiten des Einzelfalls billigerweise noch hinnehmen muss oder ob diese für ihn unzumutbar sind. Es besteht dabei kein genereller Maßstab zur Ermittlung der zeitlichen, betrieblichen und wirtschaftlichen Umstände, die der Arbeitgeber noch hinzunehmen hat. Die soziale Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers spielt bei der Abwägung eine erhebliche Rolle, da ihm bei der personen-/krankheitsbedingten Kündigung regelmäßig kein rechtswidriges Verhalten vorzuwerfen ist. Zugunsten des Arbeitnehmers sind insbesondere folgende Umstände zu berücksichtigen:
- Sozialdaten des Arbeitnehmers,
- Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- Dauer des zunächst ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses,
- betriebliche Ursachen für die Erkrankungen,
- Zumutbarkeit weiterer Überbrückungsmaßnahmen,
- Möglichkeit der Umsetzung auf einen anderen (leidensgerechten) Arbeitsplatz,
- Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt und
- wirtschaftliche Belastbarkeit des Arbeitgebers.
Ein anderer wesentlicher Aspekt der Interessenabwägung ist, ob dem Arbeitnehmer ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) angeboten wurde. Die Anforderungen und das Ziel eines BEM werden in einem weiteren Teil dieses Beitrags ausführlich dargestellt. Insoweit wird hierauf verwiesen.
Nächster Teil: Arten einer krankheitsbedingten Kündigung
Der Überblick zeigt, dass an die soziale Rechtfertigung einer personenbezogenen Kündigung mehrere Voraussetzungen geknüpft sind, wobei es maßgeblich auf den Einzelfall ankommt. Lesen Sie hier einen weiteren Beitrag, in dem wir die einzelnen Arten einer krankheitsbedingten Kündigung aufzeigen und im Lichte des dreistufigen Prüfungsschemas darstellen.