05.02.2021 | Restrukturierung und Insolvenzrecht
- Verlängerung des Insolvenzantragszeitraums bei Überschuldung auf sechs Wochen
- Neue Regelungen zur Abgrenzung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung: Festlegung konkreter Zeiträume
- Coronabedingte Verkürzung des Prognosezeitraums auf vier Monate für die Überschuldungsprüfung
- Überführung von Zahlungsverboten für Geschäftsführer, Vorstand sowie organschaftliche Vertreter in einen einheitlichen § 15b InsO
- Anspruch auf ein Vorgespräch
Verlängerung des Insolvenzantragszeitraums bei Überschuldung auf sechs Wochen
Bisher war ein Insolvenzantrag ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu stellen (§ 19 Absatz 2 InsO a.F.). Der Zeitraum wurde nun bei einer Überschuldung auf sechs Wochen verlängert(§ 19 Absatz 2 Ins n.F.). Liegt also ausschließlich eine Überschuldung und keine Zahlungsunfähigkeit vor, hat die Geschäftsleitung doppelt so viel Zeit, um außergerichtliche Verhandlungen zu führen oder ein Eigenverwaltungsverfahren bzw. unter gewissen Voraussetzungen auch ein präventives Restrukturierungsvorhaben nach dem neuen StaRUG einzuleiten.
Antragsstellung ohne schuldhaftes Zögern
Zu beachten ist allerdings, dass ein Antrag gemäß dem Gesetzeswortlaut weiterhin grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“ zu stellen ist. Wie schon bisher können sich die als Höchstfristen ausgestalteten drei bzw. sechs Wochen im Einzelfall auf einen geringeren Zeitraum verkürzen. Die Höchstfristen bedeuten nicht, ,dass erst nach ihrem Ablauf gegen das Insolvenzverschleppungsverbot des § 15a InsO verstoßen werden könnte. Ob das Verzögern der Antragstellung innerhalb der drei- bzw. sechswöchigen Frist schuldhaft ist, beurteilt sich aus Sicht des Antragspflichtigen ausschließlich anhand des Gläubigerinteresses. Bestehen innerhalb der laufenden Antragsfrist keine berechtigten Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung und Fortführung des Unternehmens oder wird erkennbar, dass eine Sanierung innerhalb der Frist nicht gelingt, ist der Antrag sofort zu stellen. Dabei gilt, dass der Antragspflichtige den Antrag grundsätzlich nicht zugunsten von Sanierungsmaßnahmen verschieben darf, die erst nach drei Wochen zu einer Sanierung der Gesellschaft führen könnten. Nach Ablauf der Drei- bzw. Sechswochenfrist ist jedes Zögern schuldhaft, unabhängig davon, wie sinnvoll etwaige Sanierungsbemühungen sind.
Neue Regelungen zur Abgrenzung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung: Festlegung konkreter Zeiträume
Ob eine Überschuldung des Unternehmens vorliegt, ist durch eine zweistufige Prüfung festzustellen. Wird auf der ersten Stufe festgestellt, dass eine rechnerische Überschuldung des Unternehmens vorliegt, so ist auf der zweiten Stufe zu fragen, ob das Unternehmen gleichwohl eine positive Fortführungsprognose hat. Hat es diese, liegt keine Überschuldung nach § 19 Absatz 2 InsO vor. Bisher hat der Gesetzgeber für den der Fortführungsprognose zugrunde zu legenden Zeitraum keine Vorgaben gemacht. Die dadurch entstandenen Rechtsunsicherheiten führten zudem zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der Überschuldung und der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Für diese war ebenfalls kein konkreter Prognosezeitraum vorgegeben. Die Prüfung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit unterliegt denselben Kriterien wie die der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO. Einziger Unterschied ist, dass bei der Zahlungsunfähigkeit zu überprüfen ist, ob man ad hoc zahlungsunfähig ist, wohingegen bei der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Prognose gemacht werden muss, wann diese voraussichtlich eintreten wird. Die Dauer dieses Prognosezeitraums war bisher – wie auch bei der Überschuldung - umstritten.
Durch die Festlegung konkreter Zeiträume bei der Prüfung der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit erleichtert der Gesetzgeber deren Abgrenzung und beseitigt bisherige Unsicherheiten über ihre Dauer. Bei der Überschuldungsprüfung gilt nun ein Prognosezeitraum von zwölf Monaten (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Ins O n.F.) und bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein Prognosezeitraum von 24 Monaten (§ 18 Absatz 2 Satz 2 InsO)
Coronabedingte Verkürzung des Prognosezeitraums auf vier Monate für die Überschuldungsprüfung
Ist die Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen, ist aufgrund von § 4 COVInsAG, zwischen dem 01.01.2021 und dem 31.12.2021 ein Prognosezeitraum von vier anstelle von zwölf Monaten zugrunde zu legen. Folgende drei Kriterien müssen dafür vorliegen:
- das Unternehmen war am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig;
- in dem letzten, vor dem 01.01.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr wurde ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet; und
- der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ist im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 % eingebrochen.
Mit der Verkürzung des Prognosezeitraums von zwölf auf vier Monate soll verhindert werden, dass ein Unternehmen lediglich aufgrund von coronabedingten Prognoseunsicherheiten wegen einer Überschuldung insolvenzantragspflichtig wird.
Überführung von Zahlungsverboten für Geschäftsführer, Vorstand sowie organschaftliche Vertreter in einen einheitlichen § 15b InsO
Zur Vereinheitlichung der Regelungssystematik und leichteren Auffindbarkeit überführt der Gesetzgeber mit der Neueinführung von § 15b InsO die Zahlungsverbote für Geschäftsführer gemäß § 64 GmbHG bzw. den Vorstand nach § 92 Absatz 2 AktG und organschaftliche Vertreter (§ 130a Absatz 1 HGB; § 99 GenG) in die Insolvenzordnung.
Wie schon in den alten Gesetzesfassungen dürfen nach § 15b Absatz 1 InsO antragspflichte Mitglieder des Vertretungsorganes nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung keine Zahlungen mehr für die juristische Person vornehmen. Damit wird die Haftung für masseschmälernde Zahlungen bei verspätetem bzw. nicht gestellten Insolvenzantrag im Rahmen von § 15b InsO rechtsformübergreifend beibehalten.
Ausgenommen von dem Verbot sind Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Dies sind gemäß § 15b Absatz 2 InsO solche, die im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs vorgenommen werden. Das Gesetz nennt hierbei explizit Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen. Damit werden die engen Schranken aufgehoben, denen die Notgeschäftsführung nach der Rechtsprechung derzeit unterliegt. Nach dieser waren bisher beispielsweise Zahlungen auf Dienstleistungen nicht zulässig, da sie nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse führten. Der Gesetzgeber hat allerdings erkannt, dass derartige Beschränkungen vor dem Hintergrund einer sechswöchigen Antragsfrist im Falle einer Überschuldung die Vorteile des verlängerten Antragszeitraums ins Leere laufen lassen könnten. Voraussetzung für die Vornahme solch zulässiger Zahlungen ist allerdings, dass gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um die Insolvenzreife nachhaltig zu beseitigen oder ein Insolvenzantrag vorbereitet wird. Es empfiehlt sich daher für die Praxis, dass die Antragspflichtigen am besten parallel zum Sanierungsversuch auch einen Insolvenzantrag vorbereiten.
Der Gesetzgeber möchte Zahlungen, die im Zuge einer Insolvenzverschleppung geleistet werden, von der vorgenannten haftungsrechtlichen Privilegierung ausnehmen. Ist der für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitraum abgelaufen, so sollen Zahlungen daher nur unter Ausnahmebedingungen („in der Regel“) noch als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu vereinbaren sein (§ 15b Absatz 3 InsO).
Leisten die Antragspflichtigen entgegen des vorgenannten Verbots dennoch Zahlungen, so sind sie dem Unternehmen zur Erstattung verpflichtet (§ 15b Absatz 4 Satz 1 InsO). In Einklang mit dem bisherigen Recht, können sie allerdings den Gegenbeweis eines geringeren Verschleppungsschadens führen und damit ihre Haftungssumme begrenzen (§ 15b Absatz 4 Satz 2 InsO). Durch diese Begrenzung soll vermieden werden, dass die Inanspruchnahme das übersteigt, was zur Erreichung des Zwecks der Zahlungsverbote, nämlich die Erhaltung der Masse im Interesse der Gläubiger, erforderlich ist.
Bezüglich steuerrechtlicher Zahlungspflichten sind die Antragspflichtigen nunmehr im Zeitraum zwischen Eintritt der Insolvenzantragspflicht und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag nach § 15b Absatz 8 InsO befreit, sofern rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt wird. In diesem Zusammenhang ist auch kurz auf die strafbewehrte Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 266a StGB) einzugehen. Aus dem Zahlungsverbot (§ 15b Absatz 1 Satz 1 InsO) und der Zahlungspflicht der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung kann sich eine Pflichtenkollision der Geschäftsleitung ergeben. Nach Ansicht des Gesetzgebers kann diese dadurch vermieden werden, dass rechtzeitig ein Insolvenzantrag gestellt wird. Das bedeutet, es können während der Insolvenzantragsfrist weiterhin Zahlungen geleistet werden, um eine Strafbarkeit zu vermeiden. Nach deren Ablauf ist Antrag zu stellen, was zu einem Zurücktreten des Abführungsgebots hinter der Massesicherungspflicht führt.
In jedem Fall gilt für die Mitglieder der Vertretungsorgane, dass sie die Grundlagen ihrer Entscheidungen aus Darlegungs- und Beweisgründen umfassend dokumentieren sollten. Nur so kann im Falle eines Haftungsprozesses eine fehlerfreie Vorgehensweise in ausreichendem Umfang nachgewiesen werden.
Wer vor Stellung des Insolvenzantrages ein Bedürfnis zur Klärung von entscheidenden Verfahrensfragen hat, kann unter den Voraussetzungen des § 10a InsO ein Vorgespräch mit dem zuständigen Insolvenzgericht führen. Ein Anspruch auf ein solches Vorgespräch besteht, wenn mindestens zwei der Kriterien des § 22a Absatz 1 InsO erfüllt sind, nämlich:
- eine Bilanzsumme von mindestens EUR 6 Mio.;
- Umsatzerlöse von mindestens EUR 12 Mio. in den 12 Monaten vor dem Abschlussstichtag; oder
- die Beschäftigung von mindestens 50 Arbeitnehmern im Jahresdurchschnitt.
Sind diese Kriterien nicht erfüllt, liegt der Anspruch im Ermessen des Gerichts.
Fazit: Mehr Rechtssicherheit für Geschäftsleiter
Mit der Klarstellung der Prognosezeiträume für drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und die klareren Vorgaben zu Zahlungen um die Insolvenzreife wurde erheblich zur Rechtssicherheit für Geschäftsleiter von Unternehmen in Schwierigkeiten beigetragen. Das nunmehr in § 15b InsO übernommene Zahlungsverbot birgt nach wie vor ein großes Haftungsrisiko für die Geschäftsleitung.
Welche Neuerungen und Möglichkeiten sich für Unternehmen bei Sanierungsfällen, durch das ebenfalls mit dem SanInsFoG neu eingeführte Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, StaRUG) ergeben, können Sie bald in einem weiteren Beitrag von uns lesen.
Haben Sie Fragen oder benötigen Sie Hilfestellungen, kommen Sie gerne auf uns zu: Carolin Lang LL.M., lang@lutzabel.com