28.01.2021 | Arbeitsrecht
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Beschluss vom 29. September 2020 (9 AZR 266/20) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Anwendung nationaler Verjährungsvorschriften entgegenstehen.
Sachverhalt
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall streiten die Parteien über die Verjährung nicht erfüllter Urlaubsansprüche. Die Klägerin war seit 1996 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin angestellt. Ihr Anspruch auf Urlaub hat jährlich 24 Arbeitstage betragen. Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte, dass der „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ am 31. März 2012 nicht verfallen sei, weil die Klägerin ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in der Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 nahm die Klägerin an 95 Arbeitstagen Urlaub in Anspruch. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. Juli 2017. Die Klägerin fordert nun im Wege der Klage die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Seiner Ansicht nach sind die Urlaubsansprüche bereits aufgrund der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren verjährt.
Entscheidung
Das LAG Düsseldorf gab der Klägerin Recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung einer Abgeltung für 76 Urlaubstage. Das Gericht war der Ansicht, der Beklagte sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, so dass die Urlaubsansprüche nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen seien. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift erlösche der Anspruch auf gesetzlichen Urlaub grundsätzlich nur dann am Jahresende bzw. am 31.03. des Folgejahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert habe, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen habe, dass dieser anderenfalls verfallen kann. Das LAG war überdies der Ansicht, komme der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten auch in den Folgejahren nicht nach, könne er die Erfüllung des über die Jahre kumulierten Urlaubsanspruchs nicht unter Berufung auf den Eintritt der Verjährung verweigern.
Das BAG hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Urlaubsansprüche, die aufgrund unterlassener Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen können, unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben zumindest verjähren.
Praxisrelevanz
Die Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung. Arbeitgeber unterliegen bereits aufgrund der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 06.11.2018 - C-684/16) Mitwirkungspflichten, wonach Urlaubsansprüche bei fehlenden Hinweisen des Arbeitgebers nicht zum Jahresende bzw. bis zum 31.03. des Folgejahres nach dem BUrlG verfallen können. Dies führte in vielen Unternehmen zu finanziellem Mehraufwand. Die Belastung der Arbeitgeber würde sich erhöhen, wenn der EuGH nun zu der Entscheidung kommen würde, dass europäisches Recht der Anwendung von nationalen Verjährungsregelungen entgegensteht, wenn ein Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Der gesetzliche Urlaubsanspruch ließe sich in diesem Fall nur noch durch Erfüllung, Abgeltung oder Verwirkung beseitigen. Würde der EuGH hingegen zu der Auffassung gelangen, dass nicht verfallene Urlaubsansprüche trotz fehlender Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers zumindest der Verjährung unterliegen, bestünde drei Jahre nach dem Kalenderjahr, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist, Rechtssicherheit. Der Arbeitgeber könnte sich hinsichtlich diesen, nicht verfallenen Urlaubsansprüchen auf Verjährung berufen und würde sich eine Abgeltung ersparen.