18.11.2020 | Kartellrecht
Diesmal also Gitarren. Ausweislich einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung hatte das Bundeskartellamt gegen einen Gitarrenhersteller ein Verfahren wegen des Verdachts einer unzulässigen vertikalen Preisbindung eingeleitet. Es bestand der Verdacht, dass der Hersteller auf seine Abnehmer Druck ausgeübt hatte, um ein Mindestpreisniveau für den Verkauf seiner Produkte einzuhalten und verschiedene Händler aufgefordert hatte, ihre Endkundenpreise anzuheben.
Als Reaktion auf die Verfahrenseinleitung hat der Hersteller eine aktualisierte Preisliste an seine in Deutschland tätigen Händler versandt, in der die Preise erstmals eindeutig als unverbindliche Preisempfehlung („UVP“) gekennzeichnet waren. Außerdem wurde den Händlern schriftlich versichert, dass die Festlegung der Verkaufspreise allein Händlersache sei und der Hersteller keinen Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen werde. Das Bundeskartellamt hat das Verfahren gegen den Hersteller daraufhin eingestellt und kein Bußgeld verhängt.
Verbot der vertikalen Preisbindung
Das Verbot der vertikalen Preisbindung existiert zwar bereits seit etwa 50 Jahren, wird aber dennoch regelmäßig - zum Teil auch recht offensiv - missachtet. Dies mag vielleicht daran liegen, dass es nicht ausdrücklich im deutschen Kartellgesetz, dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) niedergelegt ist, sondern sich im EU-Recht „versteckt“, genauer in der Verordnung Nr. 330/2010 der EU-Kommission vom 20. April 2010 („Vertikal-GVO“). Diese gilt gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 GWB (aber) entsprechend auch im deutschen Kartellrecht.
Ausweislich Artikel 4 lit. a Vertikal-GVO ist die vertikale Festsetzung von Fest- und/oder Mindestpreisen im Wiederverkauf („vertikale Preisbindung“, auch als „Preisbindung der zweiten Hand“ bezeichnet) grundsätzlich verboten. Hierbei handelt es sich um eine sog. Kernbeschränkung („Hardcore-Verstoß“), die jedenfalls nach der Vertikal-GVO nicht freistellungsfähig ist. Eine Einzelfreistellung ist bei entsprechenden Effizienzvorteilen zwar grundsätzlich möglich, allerdings sind die Hürden hierfür sehr hoch.
Unverbindliche Preisempfehlungen
Zulässig ist hingegen die Festsetzung von Höchstverkaufspreisen oder das Aussprechen von UVP. Letzteres gilt aber nur dann, wenn die UVP nicht mit der Ausübung von Druck und/oder der Gewährung von Anreizen verbunden werden und sich infolgedessen de facto wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken (Artikel 4 lit. a Vertikal-GVO).
Wird also die Festsetzung von UVP bspw. mit der Androhung eines vorübergehenden Lieferstopps bzw. einer vollständigen Auslistung des Händlers bei Unterschreitung der UVP verbunden, sind die UVP nicht mehr „unverbindlich“, sondern de facto verbindlich und infolgedessen kartellrechtlich unzulässig. Ein unzulässiger Druck kann im Einzelfall bereits dann vorliegen, wenn der Hersteller ein digitales Monitoring-System implementiert, um das Preissetzungsverhalten seiner Abnehmer automatisiert zu überwachen, und bei jeder Unterschreitung der UVP den Händler kontaktiert und dessen Preissetzungsverhalten moniert.
Entsprechendes gilt auch für „Belohnungsrabatte“: Räumt ein Hersteller einem Händler einen Rabatt ein, der ausschließlich bei Einhaltung der UVP gewährt wird, liegt ein unzulässiger Anreiz zur Einhaltung der UVP vor; dies gilt jedenfalls dann, wenn das Geschäft aus der Sicht des Händlers andernfalls wirtschaftlich nicht tragfähig wäre.
Handlungsoption: Selektives Vertriebssystem
Das Interesse eines jeden Herstellers, dass seine Abnehmer die Produkte nicht verramschen, ist wirtschaftlich völlig nachvollziehbar, nur eben grundsätzlich verboten, sofern hierzu Fest- und/oder Mindestverkaufspreise (unmittelbar) festgelegt oder UVP mit der Ausübung von Druck oder unzulässigen Anreizen verbunden werden.
Allerdings gibt es – abgesehen vom Direktvertrieb durch den Hersteller – mit dem sog. selektiven Vertriebssystem durchaus eine (kartellrechtskonforme) Möglichkeit, das Preissetzungsverhalten der Händler zumindest indirekt zu beeinflussen (ohne hierzu unzulässigen Druck ausüben zu müssen).
Hierbei handelt es sich um ein System vertraglicher Abreden, in dem sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragsprodukte unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand vorab festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in dem sich die zugelassenen Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind (Art. 1 Abs. 1 lit. e Vertikal-GVO).
Händlerauswahl anhand qualitativer Auswahlkriterien
Die Einführung eines selektiven Vertriebssystems ist allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig: Zunächst müssen die Eigenschaften des fraglichen Produktes zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein selektives Vertriebssystem erforderlich machen. Ein selektives Vertriebssystem kommt also nicht für sämtliche Produkte, sondern tendenziell nur für hochwertige Markenprodukte in Betracht.
Des Weiteren muss die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Qualitätskriterien erfolgen, welche vorab einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und diskriminierungsfrei angewendet werden. Als Auswahlkriterien kommen dabei bspw. qualitative Mindeststandards in Bezug auf das Ladenlokal bzw. den Online-Shop, die Produktpräsentation, die Qualifikation des Personals (etwa verpflichtende Produktschulungen für die zum Verkauf der Vertragsprodukte eingesetzten Mitarbeiter), den Kundenservice (bspw. Hotline für den After Sales Service) oder eine bestimmte Anzahl besonderer Marketingaktionen pro Jahr in Betracht. Schließlich dürfen die festgelegten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, d.h. sie müssen verhältnismäßig sein.
Mehraufwand im Vertrieb führt zu höherem Preisniveau
Ein Händler, der auf der Grundlage qualitativer Auswahlkriterien zu dem selektiven Vertriebssystem eines Herstellers zugelassen worden ist, muss zwangsläufig mehr in seinen Vertrieb investieren, um diese Anforderungen fortlaufend zu erfüllen; andernfalls riskiert er den Ausschluss. Diesen Mehraufwand muss der Händler wieder erwirtschaften, weshalb er ein ureigenes Interesse daran haben wird, die Produkte nicht zu verramschen. Wenngleich auch in diesem Rahmen ein Unterschreiten der UVP seitens des Herstellers weder verboten noch vollständig verhindert werden kann, wird das Niveau der Wiederverkaufspreise der Händler innerhalb eines selektiven Vertriebssystems in der Regel höher sein, ohne dass diesbezüglich Druck seitens des Herstellers ausgeübt werden muss.