07.09.2020 | Arbeitsrecht
Sind die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung während der Kurzarbeit erfüllt, stellen sich in der Praxis einige Folgefragen. Insbesondere streiten Arbeitgeber und Arbeitnehmer regelmäßig über die Höhe des Vergütungsanspruchs während der Kündigungsfrist.
Voller Lohnanspruch oder reduzierte Vergütung plus KUG?
Sofern das Arbeitsverhältnis eines Mitarbeiters in Kurzarbeit gekündigt wird, entfällt der Anspruch des Mitarbeiters auf Kurzarbeitergeld („KUG“) gegenüber der Agentur für Arbeit. Diese sozialversicherungsrechtliche Folge ergibt sich eindeutig aus § 98 Abs. 1 Nr. 2 SGB III und hat den Hintergrund, dass durch den Ausspruch der Kündigung der Zweck des KUG – die Sicherung des Arbeitsplatzes - nicht mehr erfüllt werden kann.
Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die arbeitsrechtliche Fragestellung nach der Höhe des Lohnanspruchs des gekündigten Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber während der Kündigungsfrist. Insoweit fehlt es sowohl an einer gesetzlichen Regelung als auch (bislang) an einer Klärung durch die Rechtsprechung.
Grundsätzlich sind zwei Fälle zu unterscheiden:
1. Kündigung vor Einführung der Kurzarbeit
- kein Anspruch auf KUG
- voller Lohnanspruch während der Kündigungsfrist
2. Kündigung während der Kurzarbeit
- ab Kündigungszugang kein KUG-Anspruch gegenüber der Agentur für Arbeit
- weiterhin reduzierter oder wieder voller Lohnanspruch?
Bei einer Kündigung während der Kurzarbeit ist fraglich, ob nur ein Anspruch auf den reduzierten Vergütungsanteils zzgl. KUG besteht oder der arbeitsvertraglich vereinbarte Lohnanspruch in voller Höhe wieder auflebt.
Klarheit besteht nur, wenn sich die Höhe des Vergütungsanspruchs aus expliziten (kollektiv-) vertraglichen Regelungen ergibt. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen wird die Höhe des Lohnanspruch nach Kündigungen während der Kurzarbeit häufig ausdrücklich geregelt. Teilweise wird der oben dargestellte Wegfall des Anspruchs auf KUG gegenüber der Agentur für Arbeit gemäß § 98 Abs. 1 Nr. 2 SGB III zur Bedingung für den Fortbestand der Kurzarbeit erklärt, sodass der Lohnanspruch in voller Höhe nach Ausspruch einer Kündigung wieder auflebt. Durch derartige explizite Regelungen schlägt somit die sozialversicherungsrechtliche Folge einer Kündigung auf die arbeitsrechtliche Ebene durch.
„Wegfall“ der Kurzarbeit an sich
Falls keine ausdrücklichen Regelungen zur Höhe der Vergütung des gekündigten Arbeitnehmers während der Kurzarbeit existieren, wird folgende arbeitsrechtliche Frage relevant:
Wird die durch die Kurzarbeit verursachte Reduzierung der Arbeitszeit infolge der Kündigung „hinfällig“ - und besteht somit wieder der volle Lohnanspruch - oder gilt weiter lediglich eine verkürzte Arbeitszeit - und eine entsprechend reduzierte Vergütung -als vereinbart?
Diese Frage ist durch Auslegung der Rechtsgrundlagen für die Einführung der Kurzarbeit (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Individualvereinbarung) zu beantworten. Für diese Auslegung ist grundsätzlich zu beachten, dass – sofern keine ausdrückliche Regelung existiert – der Wegfall der Gewährung von KUG durch die Agentur für Arbeit nicht ohne weiteres auf die arbeitsrechtliche Dimension der Kurzarbeit durchschlägt (vgl. BAG, 11.07.1990 – 5 AZR 557/89, NZA 1991, 67). Finden sich keine besonderen Anhaltspunkte für eine Koppelung der arbeitsrechtlichen an die sozialversicherungsrechtlichen Folgen, ist mithin davon auszugehen, dass die Kurzarbeit nicht durch die Gewährung von KUG bedingt ist. Es bleibt in diesem Fall bei der entsprechend der Kurzarbeitsvereinbarung reduzierten Arbeitszeit.
Falls sich aus der Auslegung ergibt, dass auf arbeitsrechtlicher Ebene die Kurzarbeit auch nach Wegfall des KUG durch die Agentur für Arbeit weiterbestehen soll, sprechen gute Argumente dafür, dass der Arbeitnehmer lediglich einen Anspruch auf den verminderten Lohnanspruch plus KUG hat.
Hierfür spricht insbesondere, dass der gekündigte Arbeitnehmer durch den Ausspruch der Kündigung finanziell nicht bessergestellt werden soll, da bei weiterhin reduzierter Arbeitszeit auch nur eine entsprechend verminderte Vergütung erwartet werden kann. Der gekündigte Mitarbeiter stünde andernfalls besser als Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nicht gekündigt worden ist.
Der verminderte Lohnanspruch wird allerdings durch einen Vergütungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber in Höhe des – durch die Kündigung weggefallenen – Anspruchs auf KUG ergänzt. Hintergrund ist, dass das Wirtschaftsrisiko des Arbeitsgebers durch die Vereinbarung von Kurzarbeit lediglich vorübergehend – für die Dauer der Kurzarbeit - auf die Agentur für Arbeit übertragen wird. Durch den Verlust der staatlichen Hilfe infolge der Kündigung des Arbeitsverhältnisses lebt das Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers jedoch wieder auf, sodass er zusätzlich zu einer Zahlung in Höhe des weggefallenen KUG verpflichtet ist.
Praxistipp: Chance zum Abschluss von Aufhebungs- und Abwicklungsvereinbarungen
Dem Begehren gekündigter Mitarbeiter auf volle Vergütung kann mit guten Argumenten entgegengetreten werden und der Arbeitgeber kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es auch während der Kündigungsfrist bei der aufgrund Kurzarbeit reduzierten Vergütung (plus KUG) bleibt. Diese Ausgangslage kann der Arbeitgeber – bei gutem Verhandlungsgeschick – nutzen, um den nicht unerheblichen Wirksamkeitsrisiken von betriebsbedingten Kündigungen während der Kurzarbeit zu begegnen: Das entgegenkommende Angebot der Zahlung der vollen – oder jedenfalls erhöhten - Vergütung während der Kündigungsfrist kann als Verhandlungsmasse im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen genutzt werden, um eine rechtssichere einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen.
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