26.06.2020 | Arbeitsrecht
Herr Heesch, wie hat die seit Mitte März bestehende Pandemie-Situation sich auf Ihren Geschäftsbetrieb ausgewirkt? Haben Sie bislang eher mehr oder eher weniger Aufträge zu verzeichnen gehabt?
Die Auftragslage war vor der Corona-Pandemie schon hoch. Durch einen jahrelangen Konjunkturanstieg ist einigen weniger performanten Unternehmen auf der Strecke die „Puste ausgegangen“. Die Corona-Krise wirkt nun wie ein Katalysator und treibt betroffene Unternehmen, die bereits zuvor in einer Krisensituation waren, in die Insolvenz und viele zuvor gesunde Unternehmen in eine existenzielle Krise.
Zurzeit herrscht aber noch ein wenig Ruhe vor dem Sturm. Unternehmen und Finanzierer befinden sich noch in einer Art Schockstarre oder Findungsphase. Durch den schnellen Eingriff des Staates konnte zudem eine sofortige Pleitewelle verhindert werden.
Wie sind Ihre Erwartungen für das 2. Halbjahr 2020, droht uns hier eine Welle an Re- und Umstrukturierungen sowie Personalabbauten?
Wir erwarten ab der zweiten Jahreshälfte einen weiteren Anstieg der Restrukturierungen und Insolvenzen in Deutschland. In den vergangenen Monaten sind viele Stundungen mit Lieferanten und Partnern (Miete, Tilgung, Zinsen etc.) geschlossen worden. Dieser Zustand ist jedoch endlich und die Belastungen werden zukünftig enorm sein. Gepaart mit einem Einnahmenrückgang durch die Corona-Pandemie werden viele zuvor gesunde Unternehmen in eine existenzielle Schieflage geraten. Zudem endet die Regelung des Kurzarbeitergelds Stand heute Ende 2020, so dass auch der Personalaufwand wieder steigen wird.
Welche Auswirkungen erwarten Sie durch das Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht?
Die Aussetzung hat Unternehmen einen gewissen Zeitraum zur Restrukturierung verschafft. Jedoch ist der Zeitraum bis derzeit 30. September 2020 sehr kurz und nicht ausreichend für einen umfassende Restrukturierung. Es ist zu erwarten, dass viele Unternehmen nach der Aussetzung verpflichtet sein werden, einen Insolvenzantrag zu stellen. Es handelt sich daher oftmals nur um eine zeitliche Verschiebung des Insolvenzantrages.
Zudem ist der Begriff „zahlungsunfähig“ nicht ausschließlich aus der juristischen Sicht im Sinne einer Insolvenzantragspflicht zu betrachten. Kann ein Unternehmen seine Lieferanten und die Gehälter der Mitarbeiter nicht zahlen, kommt der Geschäftsbetrieb zum Erliegen – unabhängig von jeder insolvenzrechtlichen Verpflichtung. Zudem sehen Juristen weiterhin bestehende Haftungsrisiken für Organe einer Gesellschaft. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist somit kein Freifahrtsschein, sondern ermöglicht nur einen temporären Spielraum, um das Fortbestehen von Unternehmen zu sichern, ohne dass durch die strengen Fristen Handlungszwänge ausgelöst werden.
Wir erwarten allerdings, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis März 2021 verlängert wird.
Was wäre gefährlicher für die deutsche Wirtschaft – eine zweite Pandemie-Welle im Herbst oder eine Welle an Zahlungsausfällen und Insolvenzen?
Ich denke, die Effekte werden die Gleichen sein. Eine zweite Pandemie-Welle wird wahrscheinlich wieder ähnliche Maßnahmen nach sich ziehen – auch wenn die Erkenntnisse über das Virus schnell anwachsen und die Maßnahmen präziser gewählt werden könnten.
Ich denke, dass die Gesundheit der Menschen auch in Zukunft das höchste Gewicht genießen sollte. Weitere Infektionswellen sind daher unbedingt zu vermeiden, so lange es keine wirksame Impfung gibt – auch um die Wirtschaft nicht wiederholt durch temporäre oder lokale Einschränkungen zu zermürben. Es gibt somit keinen großen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Frage, welche Maßnahmen gewählt werden sollten, um einerseits ein Aufflammen der Pandemie zu verhindern und andererseits die Wirtschaft nicht zu sehr einzuschränken.
Wir sehen z.B. bei unseren Kunden aus dem Einzelhandel, dass viele Verbraucher – unabhängig von gesetzlichen Einschränkungen – große Menschenansammlungen meiden und die Besucherfrequenzen gering sind. Erst wenn die Gefahr gebannt werden kann, könnte sich das Konsumverhalten wieder normalisieren.
Grundsätzlich besteht jedoch bei den Wellen – egal ob durch einen Shutdown oder durch Zahlungsausfälle – die Gefahr der Infizierung weiterer Marktteilnehmer. Ein Zahlungsausfall eines Kunden oder ein Produktionsausfall eines Lieferanten kann durch ein Unternehmen ggf. kompensiert werden. Fallen jedoch mehrere Kunden und Lieferanten aus kann diese Situation auch für ein eigentlich gesundes Unternehmen bedrohlicher werden.
Welche Fragen sollten sich Unternehmen im Hinblick auf das 2. Halbjahr 2020 stellen?
Es wird spannend zu beobachten, ob und wie Geschäftsmodelle durch die Corona-Krise nachhaltig beeinflusst werden. Gerade in den Bereichen Tourismus, Einzelhandel, Bildungswesen, aber auch in generellen Business-Gepflogenheiten wie Geschäftsreisen könnten sich nachhaltige Veränderungen und eine Beschleunigung der Digitalisierung ergeben. Auch wenn es sich etwas sarkastisch anhört – die Corona-Krise kann daher auch als Chance genutzt werden. Geschäftsmodelle können neu überdacht und Unternehmensstrategien geschärft werden. Die Wettbewerber befinden sich in derselben Situation – dieses sollten sich Unternehmer vergegenwärtigen und vorrauschauend agieren. Zudem sind ein gutes Krisenmanagement, eine hohe Transparenz und ein gutes Projektmanagement unabdingbar, um diese Krisenzeit überstehen zu können. Generell sollten Unternehmen sich auf die möglichen Krisensituationen – ob nun Pandemie- oder Pleitewelle – vorbereiten und Krisenstrategien entwickeln.
Welche vorbereitenden Maßnahmen empfehlen Sie Unternehmen, um für Krisensituationen gewappnet zu sein, und was sind die ersten Schritte im Falle einer Krise?
Der offene und frühe Austausch mit den Gläubigern ist meines Erachtens sehr wichtig. Steht das Unternehmen noch nicht mit dem Rücken an der Wand, sind auch die Möglichkeiten höher, ein tragfähiges Konzept sicherzustellen. Viele Unternehmen haben die Betriebskosten weitestgehend optimiert. Trotzdem besteht gerade in der Krise weiteres Einsparpotenzial, auch wenn die Einschnitte teilweise hart sind. Es zählt jedoch das Motto: Liquidität vor Rentabilität.
Oftmals sehen wir, dass die Unternehmensführung auf dem Weg in die Krise unstetig agiert, um das Ruder herumzureißen. Wenn das Management jedoch von seiner klaren Strategie überzeugt ist, agiert es viel zielgerichteter und damit erfolgreicher. Eine gute Strategie bedarf allerdings einer sorgfältigen Vorbereitung und sollte daher rechtzeitig angegangen werden.
Wie wichtig ist eine sorgfältige arbeitsrechtliche Vorbereitung und Begleitung in Krisensituationen?
Wir erleben immer wieder, dass die arbeitsrechtliche Umsetzung von Restrukturierungskonzepten viel Zeit in Anspruch nimmt, insbesondere in Unternehmen mit Betriebsräten. Insofern ist es besonders wichtig, auch die arbeitsrechtlichen Aspekte frühzeitig mit in den Fokus zu nehmen und zum Bestandteil einer Krisenbewältigungsstrategie zu machen. Dies gilt nicht zuletzt, weil sich hieraus oft erhebliche Kostenblöcke ergeben können.
Haben Sie noch eine abschließende Empfehlung für unsere Leser?
Wir stellen bei unseren Restrukturierungs-Projekten immer wieder fest, dass wir relativ spät mandatiert werden. Das Unternehmen befindet sich oftmals bereits in einer massiven Ergebnis- oder sogar Liquiditätskrise. Dadurch ist der gemeinsame Handlungsspielraum begrenzt. Durch eine rechtzeitige Hinzunahme eines Beraters und den offenen Austausch mit den Gläubigern sind die Chancen für eine erfolgreiche Sanierung des Unternehmens höher.
Wir bedanken uns für das Interview!