11.05.2020 | Bau- und Immobilienrecht
Seit nunmehr fast zwei Monaten beschäftigt die COVID-19-Pandemie die deutsche Bevölkerung sowohl privat als auch beruflich. Auch wenn die Zahl der Neuerkrankungen in den vergangenen Wochen erfreulicherweise stetig gesunken ist und die aktuellen Lockerungen Hoffnung auf Normalität erwecken, ist ein Ende der Pandemie noch lange nicht in Sicht. COVID-19 und seine Auswirkungen auf den Baustellenbetrieb wird die Baubranche also noch eine ganze Zeit lang begleiten.
Zwar mangelt es aufgrund der Aktualität der Krise noch an richtungsweisenden Präzedenzentscheidungen der Gerichte, dennoch dürfte außer Frage stehen, dass es sich bei dem Virus selbst, um einen Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B handeln dürfte. Zu den damit einhergehenden Rechten und Pflichten der Bauunternehmen haben wir hier bereits informiert.
Darüber hinaus wird sich für viele Auftragnehmer allerdings die Frage stellen, ob - abgesehen von möglichen Ansprüchen auf Bauzeitverlängerung - auch monetäre Ansprüche durchzusetzen sind.
Pflicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B obliegt es dem Auftraggeber, für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auf der Baustelle zu sorgen und das Zusammenwirken der verschiedenen Unternehmer zu regeln. Damit ist er auch verpflichtet, ein schlüssiges Infektionsschutzkonzept zu entwickeln, um den Baustellenbetrieb aufrecht zu erhalten.
SiGe-Plan
Das wird der Auftraggeber in der Regel über eine Anpassung des Sicherheits- und Gesundheitsplans (SiGe-Plan) tun. Denn für alle Baustellen, auf denen Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, hat der Bauherr nach § 3 BaustellV einen Koordinator zu bestellen, der für die konkrete Baustelle einen geeigneten Sicherheits- und Gesundheitsplan (SiGe-Plan) erstellt.
Aufgrund der Auswirkungen der Pandemie wird der Bauherr in aller Regel veranlassen, den bestehenden SiGe-Plan nach Vorgabe der derzeitigen Anordnungen, Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen des Bundes und der Länder anzupassen und zu ergänzen.
Durch diese Anpassungen und Ergänzungen des SiGe-Plans kommen auf den Auftragnehmer allerdings Leistungsänderungen und zusätzliche Leistungen zu. In Betracht kommen hier beispielsweise:
- Zusätzliche Reinigungs- und Hygienemaßnahmen
- Anschaffung von Mund- und Nasenschutz
- Getrennte und zusätzliche Verkehrsmittel
- Zusätzliche Unterkünfte zur Reduzierung der Unterkunftsstärke
- Einrichtung von versetzten Pausenzeiten
Diese kostenauslösenden Maßnahmen sind keineswegs abschließend. Die Liste ließe sich beliebig fortschreiben.
Für den Auftragnehmer stellt sich daher die Frage, ob aus der Umsetzung der so geänderten oder zusätzlichen Leistung, ein Anspruch auf Vergütung der Mehrkosten ergibt.
Mehrvergütungsanspruch
Nach unserer Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass dem Auftragnehmer für die Ausführung der geänderten bzw. zusätzlichen Leistungen aufgrund behördlicher Anordnungen, Rechtsverordnungen, etc. auch ein Anspruch auf Ersatz der sich hieraus ergebenden Mehrkosten gemäß § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B zusteht. Entsprechendes dürfte im BGB-Bauvertrag auch im Rahmen des Anordnungsrechts gemäß §§ 650 b, 650 c BGB gelten.
Allerdings kommt es auch hier darauf an, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B erfüllt sind. Im Wesentlichen wird der Auftragnehmer hier zwei Hürden zu nehmen haben.
Auslegung
Zunächst ist entscheidend, dass es sich bei den erforderlichen Leistungen nicht um solche handelt, die der Auftragnehmer auch schon nach dem ursprünglichen Vertrag schuldete. Das ist immer eine Frage des Einzelfalls und nach der Rechtsprechung des BGH jeweils durch Auslegung zu ermitteln.
Zu prüfen ist also, ob es sich bei der Umsetzung der jeweiligen Maßnahme noch um eine bereits geschuldete Vertragsleistung oder schon um eine geänderte bzw. zusätzliche Leistung handelt. Nur im letzteren Fall kann überhaupt ein Anspruch auf Mehrvergütung bestehen.
Anordnung
Die zweite wesentliche Weichenstellung auf dem Weg zur Durchsetzung des Mehrvergütungsanspruchs ist die, ob der Auftraggeber die Leistungsänderung bzw. die zusätzliche Leistung auch tatsächlich angeordnet hat.
Das ist nicht unproblematisch, denn den Ausschlag für die möglicherweise erforderliche Ausführung einer geänderten oder zusätzlichen Leistung geben die behördlichen Vorgaben zum Infektionsschutz. Die auf der Baustelle umzusetzenden Infektionsschutzmaßnahmen werden daher nicht unmittelbar dem Willen des Auftraggebers zuzuordnen sein.
Solcherart vertragsbeeinflussende Verfügungen der Behörden stellen selbst keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Bestellers bzw. Auftraggebers dar. Das wird auch dann gelten, wenn es sich um einen öffentlichen Besteller bzw. Auftraggeber handelt. Als eine für § 2 Abs. 5, 6 VOB/B erforderliche explizite Anordnung einer vertragsändernden bzw. -ergänzenden Leistung ist die Verfügung selbst nicht zu sehen.
Für die Vergütungsfolge des § 2 Abs. 5, 6 VOB/B bedarf es also weiterhin noch einer (aus Sicht des Auftragnehmers) rechtsgeschäftlichen Anordnungserklärung des Bestellers.
Dennoch hat das OLG Zweibrücken in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 in einem vergleichbaren Fall die Anordnungserklärung des Auftraggebers angenommen und damit begründet, dass behördliche Auflagen und Anordnungen gemäß § 4 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B bereits grundsätzlich in den Verantwortungs- und Risikobereich des Auftraggebers fielen und die Umsetzung daher per se schon die Vergütungsfolge des § 2 Abs. 5, 6 VOB/B herbeiführe.
Ob das zutreffend ist, kann aber wohl zumindest dann dahingestellt bleiben, wenn der Auftraggeber dem Auftragnehmer, beispielsweise in Form der Änderung und Ergänzung des SiGe-Plans, vorgibt, die Anordnung eines Dritten zu befolgen. Denn in diesem Fall rechnet sowohl die Literatur als auch die Rechtsprechung die von Dritten, z.B. einer Behörde, vorgegebene Leistungsänderung bzw. zusätzliche Leistung dem Auftraggeber zu.
In dem Fall, in dem der Auftraggeber also seiner Verpflichtung zur Umsetzung eines schlüssigen Infektionsschutzkonzepts für die Baustelle nachkommt und hierfür den bestehenden SiGe-Plan abändert oder ergänzt, wird hierin im Zweifel auch die Anordnung zur Ausführung einer zusätzlichen oder geänderten Leistung für den Auftragnehmer liegen.
Entscheidend ist die Reichweite der Anordnungserklärung
Welche Maßnahmen in der Folge dann allerdings tatsächlich von der Anordnung selbst umfasst sind, wie weit also die Anordnungserklärung reicht, ist im Wesentlichen vom konkreten Wortlaut des „neuen“ SiGe-Plans abhängig. Um spätere Konflikte in diesem Zusammenhang zu vermeiden, sollte das im Einzelfall differenziert überprüft werden.
Für eine individuelle Beratung steht Ihnen unsere Praxisgruppe Real Estate jederzeit gerne zur Verfügung.