06.04.2020 | Bau- und Immobilienrecht
COVID-19 (Corona-Virus) und seine unmittelbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft, Bauvorhaben und die daran Beteiligten sind derzeit in aller Munde. Wichtig ist die unmittelbare Reaktion auf die besonderen Herausforderungen dieser Krisensituation, aber in rechtlicher Hinsicht auch der Blick auf das, was nach dem Ende der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie an weiteren Verzögerungen und Beeinträchtigungen insbesondere bei Großbauvorhaben folgen wird.
Welche Ansprüche können Auftragnehmer geltend machen, die erst nach der Krise mit ihren Ausführungen beginnen, aber wegen der Krise in einer verspäteten Ausführungszeit? Welche Dokumentationsobliegenheiten hat der Auftraggeber?
Viele Baustellen in Deutschland sind durch die derzeitige Krisensituation beeinträchtigt. Sie stehen still oder es kommt zu Verzögerungen. Völlig unklar ist, welche Auswirkungen die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch entfalten werden. So ist fraglich, ob Bauzeitverzögerungen, die jetzt entstehen, bis zum geplanten Start von Folgegewerken in mehreren Wochen oder Monaten wieder aufgeholt sind. Gegen die dann unstreitige Anfangsverzögerung des Auftragnehmers muss der Auftraggeber darlegen, dass sie Folge der höheren Gewalt „Corona-Krise“ ist. Das gelingt aber nur, wenn Auftraggeber die aktuellen Verzögerungen dokumentieren. Dazu im Einzelnen:
Gemäß § 642 BGB (andere Anspruchsgrundlagen sind eher fernliegend und werden daher nicht behandelt) hat ein Auftragnehmer grundsätzlich dann einen Anspruch auf Entschädigung, wenn der Auftraggeber eine Mitwirkungshandlung nicht rechtzeitig erbringt und somit in Annahmeverzug gerät. Ein solcher Anspruch setzt kein Verschulden des Auftraggebers voraus. Es muss allerdings zumindest eine zumutbare Beeinflussbarkeit der einwirkenden Umstände durch den Auftraggeber, der die Mitwirkungshandlung schuldet, bestehen,
vgl. BGH, Urteil vom 20.04.2017 – VII ZR 194/13.
Der BGH hat eine solche Beeinflussbarkeit in dem oben genannten Urteil im Falle von unerwarteten Witterungsverhältnissen verneint. Das Gericht begründet dies damit, dass es entweder tatsächlich unmöglich ist, die Einwirkung dieser Witterungsverhältnisse auf das Baugrundstück zu verhindern, oder jedenfalls nicht mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln möglich sei.
Wir halten diesen Maßstab auch bei Beeinträchtigungen, die durch den Corona-Virus entstehen, für richtig. Für die sich aus den Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie ergebenden Umstände ist also zu prüfen, ob und inwieweit Auftraggeber diese Umstände zumutbar beeinflussen können. Nur wenn das der Fall ist, drohen wegen Annahmeverzuges Entschädigungsansprüche.
Hier ist nach der jeweiligen Ausgangslage zu differenzieren. In der aktuellen Krisensituation kann der Auftraggeber auf behördliche Anordnungen nicht einwirken. Im Übrigen verbleibt zumindest die Obliegenheit des Auftraggebers, seine Auftragnehmer zu Maßnahmen aufzufordern und dazu anzuhalten, die Ausführung angemessen zu fördern. Was passiert nach der Krise, wenn sich die Verspätung auf die Folgegewerke auswirkt?
1. Nachweis der (fortwirkenden) Beeinträchtigung durch die Corona-Krise
Für Auftraggeber kann auch zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich sein, nachzuweisen, dass das Bauvorhaben aufgrund konkreter Beeinträchtigungen durch die derzeitigen staatlichen Maßnahmen oder anerkennenswerter individueller Leistungshindernisse einzelner Auftragnehmer oder deren Nachunternehmer beeinträchtigt war.
Dabei ist vorauszustellen, dass das bloße Bestehen der Krise als solcher nicht zur Begründung entsprechender Beeinträchtigungen, die ein Auftraggeber nicht beeinflussen kann, genügt.
Es ist vielmehr notwendig, konkrete Umstände vorzutragen, die sich aufgrund der Krise entwickelt und zu Verzögerungen geführt haben. Für den Auftraggeber wird es sich regelmäßig anbieten, auf die Behinderungsanzeigen der von ihm beauftragten Auftragnehmer zurückzugreifen. Zu beachten ist dabei, dass auch diese konkret sein müssen.
Das Vorliegen restriktiver staatlicher Maßnahmen und teilweise noch weitergehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens in den Nachbarländern reicht nicht. So wie der „Auftragnehmer in der Krise“ darlegen muss, aus welchem Grund sein konkreter Betrieb durch die derzeitige Situation beeinträchtigt ist, weshalb er diese Beeinträchtigungen nicht selbst mit zumutbaren Maßnahmen umgehen kann und inwieweit sich dies auf die Leistungsausführung auswirken, muss dies auch der Auftraggeber bei einer Auswirkung auf ein Folgegewerk tun. Hierfür kann er zum Einen auf die Behinderungsanzeigen der jetzigen Auftragnehmer zurückgreifen. Dafür muss er seine Auftragnehmer anhalten, ihre Behinderungsanzeigen entsprechend den bezeichneten Anforderungen zu verfassen und, sofern dies nicht gelingt, zur Sicherung seiner eigenen Ansprüche selbst eine „Behinderungsanzeige für die Zukunft“ erstellen.
Darüber hinaus wird es notwendig sein, nachzuweisen, dass die später bestehende Beeinträchtigung des Folgegewerks auf die jetzt aufgrund der Pandemie eintretenden Verzögerung zurückzuführen ist. Wenn mit dem Auftragnehmer nicht alternative Modelle vereinbart werden, ist hierfür eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung notwendig. Auch das sollte jetzt baubegleitend dokumentiert werden.
2. Wirtschaftlich vernünftige Mittel zum Erreichen der Mitwirkungshandlung
Darüber hinaus wird ein Auftraggeber bei einer Lockerung der Maßnahmen und sonstigen Änderungen auch in den Nachbarländern, soweit dies für sein Vorhaben relevant ist, umgehend prüfen müssen, welche wirtschaftlich vernünftigen Mittel er ergreifen kann. Zu denken ist dabei beispielsweise an eine Umplanung des Gesamtbauablaufs oder sonstige wirtschaftliche Maßnahmen (beispielsweise Beschleunigungsanordnungen). Sämtliche zumutbaren, also wirtschaftlich vernünftigen Mittel, sollten ergriffen werden. Denn nur, wenn diese nicht bestehen oder ergriffen wurden, gelingt der Nachweis, dass eine spätere Verzögerung nicht aus der Risikosphäre des Auftraggebers stammt und deswegen auch verschuldensunabhängige Ansprüche des § 642 BGB ausscheiden müssen.
Die in diesem Zusammenhang geprüften Maßnahmen und Möglichkeiten sind zu dokumentieren. Wurden Umplanungen durchgespielt oder andere Unternehmen konkret angefragt, sind die jeweiligen Maßnahmen und die Gründe, warum diese nicht erfolgreich waren, darzustellen. Gleiches gilt für die Anordnung von Beschleunigungsmaßnahmen. Ob solche gegenüber den Auftragnehmern überhaupt zulässig sind, ist rechtlich umstritten. Weigert sich deswegen ein Auftragnehmer, ist dies ebenfalls entsprechend zu dokumentieren.