23.03.2020 | Bau- und Immobilienrecht
Mit seiner richtungsweisenden Entscheidung im Jahr 2017 (Versäumnisurteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17) entschied der BGH, dass es sich beim Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB um einen verschuldensunabhängigen Anspruch eigener Art und gerade nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt. Aus diesem Grund sei bei der Bemessung der Entschädigung die Höhe der vereinbarten Vergütung und damit auch der darin enthaltene Anteil für Gewinn, Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Entschädigungshöhe sei eine Schätzung nach § 287 ZPO möglich. Die Frage, welchen konkreten Inhalt der Entschädigungsanspruch hat, insbesondere auf welcher Grundlage der Anspruch zu berechnen ist, ließ das Gericht offen.
Der Streit
Auf dieser Grundlage entbrannte ein Streit darüber, wie der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB konkret zu berechnen sei.
Zum Teil wurde für den Entschädigungsanspruch die Vergütung als Bemessungsgrundlage, sozusagen als Berechnung „von oben“ herangezogen. Diese Ansicht ging davon aus, dass der Auftragnehmer ähnlich wie bei einer ordentlichen Kündigung des Vertragsverhältnisses seine volle Vergütung für den Zeitraum geltend machen könne. Hiervon müsse sich der Unternehmer seine ersparten Aufwendungen abziehen lassen. Für diese trage er die sekundäre Darlegungs- und Beweislast. Der Auftraggeber habe also zunächst vorzutragen, dass der Unternehmer tatsächlich Aufwendungen ersparen konnte.
Die gegenteilige Auffassung, insbesondere vertreten durch das Kammergericht Berlin, hielt dagegen, dass für einen Anspruch aus § 642 BGB anspruchsbegründende Voraussetzung sei, dass dem Unternehmer tatsächlich ein vermögenswerter Nachteil in Form von Vorhaltekosten für unproduktive Produktionsmittel entstanden sei. Nur dann sei überhaupt ein Nachteil entstanden, der entschädigt werden könne. Der Unternehmer sei hierfür darlegungs- und beweisbelastet. Vergütung könne der Unternehmer dann auch nur für genau diese unproduktiven Produktionsmittel, also „von unten“ verlangen.
Die Entscheidung
In seiner Entscheidung vom 30.01.2020 – VII ZR 33/19, die am vergangenen Freitag, den 20.03.2020 veröffentlicht wurde, entscheidet der BGH den vorstehenden Meinungsstreit und wählt einen Mittelweg. Das Gericht stellt zunächst klar, dass ein Nachteil in Form von Vorhaltekosten für vergeblich bereitgehaltene Produktionsmittel keine anspruchsbegründende Voraussetzung für eine angemessene Entschädigung nach § 642 BGB sei. Anspruchsvoraussetzung sei ausschließlich, dass der Auftraggeber durch das Unterlassen einer Mitwirkungshandlung in Annahmeverzug geraten sei.
Die Berechnung der konkreten Entschädigungshöhe habe sich dann aber nach den Gesamtvergütungsanteilen der tatsächlich bereitgehaltenen, unproduktiven Produktionsmittel zu richten. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der Regelung, sowie dem systematischen Regelungszusammenhang mit den §§ 644, 645 BGB.
Die Vorschrift des § 642 BGB erfordere eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters auf der Grundlage der in § 642 Abs. 2 BGB genannten Kriterien. Dabei sei die angemessene Entschädigung im Ausgangspunkt an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie für Wagnis und Gewinn zu orientieren.
Dagegen gewähre § 642 BGB keinen vollständigen Ausgleich für die während des Annahmeverzugs nicht erwirtschaftete Vergütung. Denn dies sei gerade nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen. Im Gegensatz zu § 648 BGB seien bei § 642 BGB zudem nicht nur sogenannte „echte Füllaufträge“ für die Anrechnung eines anderweitigen Erwerbs zu berücksichtigen. Der Begriff des „anderweitigen Erwerbs“ im Sinne des § 642 BGB seit nach der Rechtsprechung des BGH eigenständig auszulegen.
Der Tatrichter habe daher festzustellen, inwieweit der Unternehmer während des Annahmeverzugs Produktionsmittel unproduktiv bereitgehalten hat, und die hierauf entfallenden Anteile aus der vereinbarten Gesamtvergütung zu berücksichtigen, wobei er nach § 287 ZPO zur Schätzung berechtigt ist.
Praxishinweis
Für die Praxis bedeutet das zunächst einmal Rechtsklarheit, dass die Entschädigungshöhe „von unten“, also ausgehend vom tatsächlich unproduktiv vorgehaltenen Produktionsmittel berechnet wird. Hierfür hat der Unternehmer darzulegen und zu beweisen, welche Produktionsmittel im Einzelnen unproduktiv bereitgehalten wurden. Dies gilt nicht nur für gemietete Maschinen, sondern auch für Mitarbeiter, die kurzfristig nicht auf anderen Baustellen zum Einsatz kommen können. Hierfür sollte umfassend dokumentiert werden, wann welche Mitarbeiter auf welchen Baustellen zum Einsatz kamen. Sollten die auf anderen Baustellen eingesetzten Mitarbeiter eine geringere Produktivität aufweisen, ist auch dies gemeinsam mit den dafür vorliegenden Gründen entsprechend zu dokumentieren. Denn auch der Nachteil für eingeschränkte Produktivität kann vom Tatrichter nach § 287 ZPO geschätzt werden.