30.01.2020 | Arbeitsrecht
Das nationale Urlaubsrecht kann auf ein bewegtes Jahr 2019 zurückblicken. Infolge einer Vielzahl an Entscheidungen des EuGH musste das BAG seine Rechtsprechung zum Urlaubsrecht anpassen. Diese erscheint nunmehr hinsichtlich des Verfalls, der Abgeltung und der Kürzungsmöglichkeiten des Urlaubsanspruchs in einem neuen Gewand. Die wichtigsten Neuerungen haben wir für Sie zusammengefasst:
Entstehung des Urlaubsanspruchs
Arbeitnehmer1 haben gem. § 1 BUrlG in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Urlaub. Dieser gesetzliche Mindesturlaub beträgt bei einer 5-Tages-Woche 20 Urlaubstage im Jahr. Daneben kann arbeits- oder tarifvertraglich vereinbart werden, dass dem Arbeitnehmer zusätzlich zum gesetzlichen Mindesturlaub ein darüberhinausgehender Anspruch auf Zusatzurlaub (sog. vertraglicher Mehrurlaub) zusteht.
Verfall von Urlaubsansprüchen
Der gesetzliche Urlaubsanspruch ist grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Eine automatische Übertragung auf das nächste Kalenderjahr bildet eine Ausnahme und setzt voraus, dass der Urlaub aufgrund dringender betrieblicher Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht gewährt oder wahrgenommen werden konnte (§ 7 Abs. 3 Satz 2 BurlG). In diesem Fall muss der Arbeitnehmer den Urlaub innerhalb der ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres, d.h. bis zum 31. März, nehmen. Danach erlischt der gesetzliche Urlaubsanspruch.
Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers
Mit zwei Entscheidungen vom 06. November 2018 hat der EuGH die nationalen Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen auf den Kopf gestellt und den automatischen Verfall des Urlaubsanspruchs bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers grundsätzlich für unwirksam erklärt (EuGH, Urt. v. 06.11.2018 - C-619/16 - „Kreuziger“; EuGH, Urt. v. 06.11.2018 - C-684/16 - „Shimizu“). Ein automatischer Verfall ist nach Ansicht des EuGH nur wirksam, sofern der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Urlaub zu nehmen, und er zuvor in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen.
Das BAG hat in der Folge diese Vorgaben des EuGH näher konkretisiert. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient (BAG, Urt. v. 19.02.2019 - 9 AZR 423/16). Die Mittel müssten jedoch geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Der Arbeitgeber müsse sich auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und insgesamt den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ genügen. Er könne seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig dadurch erfüllen, dass er
- dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,
- ihn auffordert, seinen Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann,
- und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Der Arbeitgeber müsse den Arbeitnehmer dabei darauf hinweisen, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt.
Abstrakte Angaben, etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung genügen nach Ansicht des BAG den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung hingegen nicht. Die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten habe der Arbeitgeber darzulegen und ggfs. zu beweisen. Im Streitfall muss der Arbeitgeber also die erfolgte Information und Aufforderung nachweisen können.
Das LAG Köln hat die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers noch weiter ausgedehnt und diese nicht nur auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern auch auf Resturlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren erstreckt (LAG Köln, Urt. v. 09.04.2019 – 4 Sa 242/18).
Für die Praxis bedeutet diese Rechtsprechung, dass Arbeitgeber die Urlaubsgewährung der Arbeitnehmer in den vergangenen letzten drei Jahren nachzuvollziehen haben und Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers ggfs. auf (fort)bestehende Ansprüche aufmerksam gemacht werden, welche diese zuvor nicht im Blick hatten.
Praxistipp: Für das Kalenderjahr 2020 und die Folgejahre sind Arbeitnehmer idealerweise bereits zu Beginn des Kalenderjahres jeweils individualisiert und mindestens in Textform, d.h. per E-Mail,
- über die Zahl der diesen zustehenden Urlaubstage - auch aus etwaigen Vorjahren - zu unterrichten,
- dazu aufzufordern, den Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er noch im laufenden Urlaubsjahr genommen werden kann und
- klar und unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass der Urlaub ersatzlos verfallen wird, wenn dieser innerhalb des Bezugszeitraums nicht genommen wird.
Mitwirkungsobliegenheit beim vertraglichen Mehrurlaub
Die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers gilt grundsätzlich auch für den vertraglichen Mehrurlaub, sofern keine abweichende Vereinbarungen getroffen sind. Um eine abweichende Regelung für den vertraglichen Mehrurlaub zu vereinbaren, ist es nach Ansicht des BAG erforderlich, dass sich aus dem Vertragstext eindeutig die Trennung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub ergibt und dass hinsichtlich des vertraglichen Mehrurlaubes die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers abweichend von den Vorgaben des BUrlG ausgestaltet sind. Für einen solchen Regelungswillen müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen diese, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen und vertraglichen Urlaubsanspruchs auszugehen, sodass in diesem Fall die Mitwirkungsobliegenheit auch für den vertraglichen Mehrurlaub gelten würde (BAG, Urt. v. 25.06.2019 – 9 AZR 546/17; BAG, Urt. v. 19.02.2019 – 9 AZR 541/15).
Praxistipp: Arbeitgebern ist zu empfehlen, im Arbeits- und/oder Tarifvertrag eindeutig zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub zu trennen und klar hervorzuheben, dass der vertragliche Mehrurlaub unabhängig von der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des Übertragungszeitraums verfällt.
Keine Mitwirkungsobliegenheit bei Langzeiterkrankten
Nach einer aktuellen, aber noch nicht rechtskräftigen, Entscheidung des LAG Hamm soll die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers nicht bestehen, wenn der Arbeitnehmer langfristig erkrankt ist und er daher gar nicht in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen (LAG Hamm, Urt. v. 24.07.2019 – 5 Sa 676/19, Revision beim BAG anhängig). Ein Hinweis auf den drohenden Verfall bestehender Urlaubsansprüche bei Nichtinanspruchnahme bis zum Ende des Urlaubsjahres sei im Fall einer Langzeiterkrankung über das Urlaubsjahresende „schlicht falsch“, da der Verfall nach ständiger Rechtsprechung des BAG erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres eintrete. Erst im Zeitpunkt einer Genesung des Arbeitnehmers entstehe wieder eine aktive Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers. Eine Belehrung ergebe nur dann einen Sinn, wenn der Arbeitnehmer in der Lage sei, auf diese zu reagieren und den Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, was im Falle einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit aber gerade nicht der Fall sei.
Praxistipp: Ob sich das BAG dieser beschriebenen Rechtsauffassung des LAG Hamm anschließen wird, bleibt abzuwarten. Nach aktueller Rechtslage ist eine Belehrung langzeiterkrankter Arbeitnehmer dahingehend, dass ihr Urlaub zum Jahresende verfällt, jedenfalls nicht notwendig und entspricht auch nicht der derzeitigen Rechtsprechung des BAG. Danach verfällt der gesetzliche Urlaub bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit erst 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, auch ohne arbeitgeberseitigen Hinweis auf diesen Verfall (BAG, Urt. v. 07.08.2012 - 9 AZR 353/10). Erst bei einer Wiedergenesung des Arbeitnehmers entsteht die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers.
Abgeltung von Urlaubsansprüchen
Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG konnten die Erben eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis durch Tod endete, keine Urlaubsabgeltungsansprüche gegen den Arbeitgeber geltend machen. Dem lag die Annahme zugrunde, der Urlaubsanspruch gehe als höchstpersönlicher Anspruch des Arbeitnehmers mit dessen Tod unter.
In drei Parallelentscheidungen vom 22. Januar 2019 hat das BAG auf zwei Entscheidungen des EuGH (EuGH, Urt. v. 06.11.2018 – C-569/16; C-570/16 – „Bauer“ und „Willmeroth“) reagiert und im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Nach neuer Auffassung des BAG steht den Erben eines im laufenden Arbeitsverhältnis verstorbenen Arbeitnehmers ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu (BAG, Urt. v. 22.01.2019 - 9 AZR 45/16; 9 AZR 10/17; 9 AZR 328/16). § 7 Abs. 4 BUrlG differenziere nicht danach, aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis ende, sodass auch das Ausscheiden wegen des Todes des Arbeitnehmers hiervon umfasst sei. Zudem betont das BAG, dass der Anspruch auf bezahlten Urlaub auch ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur sei. Dieser Vermögensbestandteil dürfe den Erben des Arbeitnehmers durch dessen Tod nicht rückwirkend entzogen werden. Bei Tod des Arbeitnehmers gehe daher der Anspruch auf Vergütung für nicht genommenen Urlaub auf die Erben des Arbeitnehmers über. Die Vererbbarkeit gelte dabei auch für den gesetzlichen Zusatzurlaub schwerbehinderter Arbeitnehmer (§ 208 Abs. 1 SGB IX).
Praxistipp: Die Vererblichkeit bezieht sich grundsätzlich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Für den vertraglichen Mehrurlaub können daher abweichende Vereinbarungen getroffen werden. Ist keine abweichende Vereinbarung getroffen, folgt der vertragliche Urlaub den Regeln über den gesetzlichen Urlaub. Um dies zu vermeiden, ist im Arbeits- und/oder Tarifvertrag klar hervorzuheben, dass der vertragliche Mehrurlaub nicht als Abgeltungsanspruch auf die Erben übergeht.
Kürzung des Urlaubsanspruchs
Während des Arbeitsverhältnisses und nach Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit entsteht der Urlaubsanspruch im Grundsatz zu Beginn eines neuen Kalenderjahrs in voller Höhe. Das BAG hatte sich im vergangenen Jahr mit einigen Sonderfällen auseinanderzusetzen, bei denen – wieder unter dem Blickwinkel der unionsrechtskonformen Auslegung des BUrlG – ausnahmsweise Kürzungen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs bejaht worden sind.
Arbeitgeber sind danach berechtigt, gesetzliche Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers während der Elternzeit einseitig zu kürzen. Die Kürzung erfolge dabei allerdings nicht „automatisch“, sondern sei aktiv zu erklären (BAG, Urt. v. 19.03.2019 - 9 AZR 362/18). Nähere Informationen finden Sie hierzu in unserem Blogbeitrag.
Auch im Falle unbezahlten Sonderurlaubs (Sabbatical) können bei der Berechnung der Dauer des gesetzlichen Urlaubs die Zeiten unbezahlten Sonderurlaubs unberücksichtigt bleiben (BAG, Urt. v. 19.03.2019 - 9 AZR 315/17). Für die Kürzung des Urlaubsanspruchs sei maßgeblich, dass die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis durch die Vereinbarung von Sonderurlaub vorübergehend ausgesetzt seien. Mangels Arbeitspflicht des Arbeitnehmers könne daher kein gesetzlicher Anspruch auf Urlaub entstehen.
Gleiches hat das BAG in der Folge auch für die Freistellungsphase der Altersteilzeit im Blockmodell entschieden (BAG, Urt. v. 24.09.2019 - 9 AZR 481/18). Weitere Hinweise hierzu finden Sie in unserem Blogbeitrag.
Keine Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubs kann dagegen im Falle einer Erkrankung des Arbeitnehmers während des gewährten Urlaubs erfolgen (BAG, Urt. v. 22.01.2019 – 9 AZR 10/17). Eine derartige Kürzung stünde Art. 7 der RL 2003/88/EG entgegen. Der Anspruch auf bezahlten Urlaub könne nicht von der Voraussetzung einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig gemacht werden, wenn ein Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage sei, seine Aufgaben zu erfüllen. In Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Urlaub seien Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, mit Arbeitnehmern gleichgestellt, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben.
Praxistipp: Werden Vereinbarungen zur Elternzeit, Sonderurlaub oder Altersteilzeit im Blockmodell getroffen, sind Arbeitgeber gut beraten, wenn diese die Kürzungsmöglichkeiten der gesetzlichen Urlaubsansprüche in der jeweiligen Vereinbarung schriftlich regeln und damit ausdrücklich dokumentieren. Dies schafft Rechtsklarheit und vermeidet spätere Streitigkeiten um etwaige Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers.
1 Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.