27.11.2018 | Restrukturierung und Insolvenzrecht
Inhalt
Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das in seinen wesentlichen Teilen am 1. März 2012 in Kraft getreten ist, wurde die Insolvenzordnung weitreichend reformiert. Ziel war es, einen modernen Rechtsrahmen für Unternehmenssanierungen in Deutschland zu schaffen. Angestrebt war ein Regimewechsel weg von einem Liquidations- hin zu einem Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren. Diese Erwartung wurde nicht erfüllt. Trotzdem sind die durch das ESUG herbeigeführten Änderungen grundsätzlich gelungen. Ein Nachsteuern des Gesetzgebers wäre wünschenswert.
Hintergrund
Die Bundesregierung wurde durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 27.10.2011 verpflichtet, die Auswirkungen des ESUG auf die Praxis der Unternehmenssanierung in Deutschland, fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten zu evaluieren.
Ein aus Professoren bestehendes Forscherteam hat diese Bewertung des ESUG durch strukturierte Befragung von Insolvenzrechtsexperten, rechtswissenschaftliche Analyse der ergangenen Rechtsprechung und veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätze, statistische Analyse der insgesamt eröffneten Eigenverwaltungsverfahren und durch die qualitative Untersuchung von Einzelfällen durchgeführt.
Der 353-seitige Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) liegt nun vor. Er wurde am 10. Oktober 2018 vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) veröffentlicht.
Gesamtbewertung des ESUG
Insgesamt wird das ESUG positiv aufgenommen. Eine Rückkehr zum früheren Recht ist nach Auffassung des Forscherteams nicht veranlasst. Allerdings zeigt die Evaluation auch Nachbesserungsbedarf auf.
Bei der Befragung gaben mehr als die Hälfte an, dass das ESUG ihre Erwartungen erfüllt hat und es sich als wichtiger Meilenstein für eine positive Veränderung der Insolvenzkultur in Deutschland darstellt. Allerdings hat sich nach der Meinung der Mehrheit der Befragten das „Stigma der Insolvenz“ noch nicht abgeschwächt. Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens wird in der Bevölkerung noch immer überwiegend als Schandfleck und nicht als „zweite Chance“ betrachtet.
Reformbedarf in der Eigenverwaltung
Als Erkenntnis der rechtswissenschaftlichen Analyse lässt sich zunächst anführen, dass das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO die Erwartungen nicht erfüllt hat. Eine frühzeitigere Antragstellung konnte dadurch nicht verbucht werden. Bei der Eigenverwaltung nach § 270a InsO lässt sich dagegen häufig feststellen, dass diese zwar vorläufig angeordnet wird, im weiteren Verlauf jedoch in ein Regelverfahren übergeht, was insbesondere kostenerhöhend wirkt. Insofern spricht nach Auffassung des Forscherteams viel dafür, die Verfahren nach § 270a und § 270b zu verschmelzen und gleichzeitig den Zugang zur Eigenverwaltung auf geeignete Verfahren zu beschränken. Es sollten unabdingbare Mindestvoraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung geschaffen werden, zu denen neben den Erfolgsaussichten des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung auch die „Eigenverwaltungswürdigkeit“ des Schuldners gehört.
Kritisiert wird von den Professoren, dass der Sachwalter, der für die Überwachung des Schuldners zuständig ist, entweder im Rahmen des Schutzschirmverfahrens direkt durch den Schuldner mitgebracht wird oder seine Wahl durch eine entsprechende Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gesteuert wird. Nach Auffassung des Forscherteams sollte die Auswahl des Sachwalters stattdessen dem Gericht obliegen. Dies hätte zwar den Nachteil, dass sich durch den fehlenden Einfluss des Schuldners auf die Person des Sachwalters auch die Planbarkeit des Ablaufs der Sanierung reduziert und damit einhergehend auch die Sanierungswilligkeit des Schuldners. Dem kann aus Sicht des Forscherteams dadurch entgegengewirkt werden, dass den Gerichten erlaubt wird, ihre Sachwalterauswahl mit dem Schuldner zu erörtern.
Im gleichen Zuge sollte der vorläufige Gläubigerausschuss nach § 56a InsO im Rahmen der Eigenverwaltung abgeschafft werden. Die objektiven Gläubigerinteressen könnten bereits durch einen neutraleren Sachwalter verfolgt werden. Dieser Schritt sei nach Ansicht des Forscherteams gerade vor dem Hintergrund der Gefahr vor der Bildung von „Family & Friends“-Ausschüssen und der Netzwerkbildung von Beratern und Sachwaltern mit Profi-Gläubigern zu empfehlen.
Nachbesserung von Einzelheiten im Insolvenzplanverfahren
Durch das ESUG wurde durch Neuschaffung des § 225a InsO die Möglichkeit geschaffen, durch den Insolvenzplan auch in Gesellschafterrechte einzugreifen. Diese Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem Gesellschaftsrecht wurde allgemein begrüßt, wenngleich hiervon in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wurde. Häufiger wurden die Gesellschaftsanteile im Insolvenzplan übertragen oder zum Gegenstand von Umwandlungsmaßnahmen. Aus diesem Grund prognostiziert das Forscherteam, dass es erforderlich werden wird, auch das Umwandlungsrecht mit dem Gesellschaftsrecht zu verzahnen.
Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens an vielerlei Einzelstellen. Es sollte nach Ansicht des Forscherteams beispielsweise überlegt werden, die Willensbildung in einer Gesellschaftergruppe von den Mehrheitserfordernissen des Gesellschaftsrechts abhängig zu machen. Im Gegenzug sollte sichergestellt werden, dass eine Blockadeposition einer Gesellschaftergruppe durch das Obstruktionsverbot des § 245 InsO effektiv durchbrochen werden kann. Des Weiteren wird vorgeschlagen, zulasten der Gläubiger eine Präklusionsklausel in Insolvenzplänen zuzulassen, die besagt, dass Gläubiger, die ihre Forderungen verspätet geltend machen, nicht mehr berücksichtigt werden.
Ausblick
Die Evaluation stellt dem ESUG damit ein grundsätzlich gutes Zeugnis aus. Es wird jedoch, vor allem im Bereich der Eigenverwaltung, Nachbesserungsbedarf aufgezeigt.
Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesgesetzgeber Schwachstellen schnellstmöglich beseitigen und den Rechtsrahmen für Sanierungen in Deutschland weiter verbessern wird. Neuerungen stehen bereits durch die im Jahr 2019 zu erwartende EU-Restrukturierungsrichtlinie an, die ein vorgeschaltetes, vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einzuführen bezweckt. Es bietet sich an, grundlegende Reformen bereits im Zuge der Umsetzung dieser Richtlinie anzugehen. Der Gesetzgeber sollte dabei im Auge behalten, dass die Planbarkeit der Sanierung ein entscheidendes Kriterium für die Wahl der Durchführung eines Sanierungsverfahrens darstellt.
Wünschenswert wäre zudem die Schaffung einer Gerichtskonzentration des Insolvenzrechts durch die Länder. Das Forscherteam rät dazu, das Insolvenzrecht entweder bei einem Gericht je Bezirk eines Oberlandesgerichts oder zumindest einem Gericht je Bezirk eines Landgerichts zu konzentrieren. Nur so kann die erforderliche Sachkunde und Kompetenz der Gerichte sichergestellt werden.