Kein Verfall des Urlaubsanspruchs ohne Urlaubsantrag

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf nicht deshalb verfallen, weil der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat (EuGH vom 06.11.2018, C-684/16).

Kein Verfall des Urlaubsanspruchs ohne Urlaubsantrag
Kein Verfall des Urlaubsanspruchs ohne Urlaubsantrag

15.11.2018 | Arbeitsrecht

Problemstellung

Der Kläger war bei dem Beklagten aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge bis zum 31.12.2013 als Wissenschaftler angestellt. Im Oktober 2013 bat der Beklagte den Kläger schriftlich, noch vorhandene Urlaubstage vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Die zeitliche Lage des Urlaubs wurde dabei nicht verbindlich festgelegt. In der Folge nahm der Kläger insgesamt zwei Tage Urlaub.

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger noch 51 Resturlaubstage. Der Aufforderung des Klägers, diesem die noch offenen Urlaubstage abzugelten, kam der Beklagte nicht nach. Er war der Auffassung, der Kläger hätte seinen Urlaub im Hinblick auf das bekannte Arbeitsvertragsende am 31.12.2013 rechtzeitig einbringen müssen. Daraufhin erhob der Kläger entsprechende Zahlungsklage.

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hingegen die Auffassung vertreten, die fraglichen Urlaubsansprüche des Klägers seien gemäß § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verfallen, da der Urlaub nicht im Urlaubsjahr genommen worden sei. Die Regelung könne nicht dahin ausgelegt werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, dem Arbeitnehmer die bezahlte Freistellung aufzuzwingen, um den Urlaubsverfall zu verhindern. Ob eine solche Regelung allerdings mit dem Europarecht vereinbar ist, wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bisher nicht eindeutig beantwortet. Das BAG hat dem EuGH daher diese Frage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach Ansicht des EuGH ist eine nationale Regelung, nach welcher der Urlaubsanspruch automatisch verfällt, wenn der Arbeitnehmer im betreffenden Bezugszeitraum keinen Urlaubsantrag gestellt hat, mit der Richtlinie 2003/88/EG unvereinbar.

Ein Verfall des Urlaubsanspruchs trete nach europäischem Recht nur dann ein, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dies ergebe sich unter anderem aus Art. 7 der Richtlinie. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er habe ihn insoweit – erforderlichenfalls förmlich – aufzufordern, den Urlaub zu nehmen. Zudem müsse er dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraum verfällt. Die Beweislast hierfür trage der Arbeitgeber.

Auswirkungen für die Praxis

Nach deutschem Recht verfällt der Urlaubsanspruch grundsätzlich mit dem Ende eines Kalenderjahres oder – soweit die Übertragungsvoraussetzungen vorliegen – mit dem Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des folgenden Kalenderjahres. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Der EuGH hat nunmehr klargestellt, dass eine solche Regelung gegen Unionsrecht verstößt. Der Arbeitgeber hat seine Arbeitnehmer vielmehr aufzufordern, noch offenen Resturlaub zu nehmen. Zudem sind die Arbeitnehmer über die Konsequenzen des Verlusts des Urlaubsanspruchs aufzuklären, sollten sie dieser Aufforderung nicht nachkommen. Noch bleibt allerdings offen, welche Anforderungen die Rechtsprechung an die konkreten Aufklärungs- und Informationspflichten des Arbeitgebers stellt. Arbeitgebern ist jedenfalls aus Nachweisgründen zu raten, die betreffenden Arbeitnehmer schriftlich aufzuklären und zu informieren. Zudem sollten sich Arbeitgeber den Empfang dieser Informationen vom jeweils betroffenen Arbeitnehmer bestätigen lassen. Um personelle Engpässe zu vermeiden bietet es sich zudem an, bereits zu Jahresbeginn, spätestens jedoch drei Monate vor Ablauf des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums der arbeitgeberseitigen Aufklärungs- und Informationspflicht nachzukommen.