OLG Düsseldorf erhöht im Vertikalfall nachträglich Kartellbußgeld gegen die Drogeriekette Rossmann von 5,25 auf 30 Mio. Euro

 Christoph Richter

Christoph Richter

Das OLG Düsseldorf hat ein zuvor vom Bundeskartellamt gegen die Drogeriekette Rossmann wegen vertikaler Preisabsprachen beim Vertrieb von Röstkaffeeprodukten verhängtes Bußgeld von 5,25 auf 30 Mio. Euro erhöht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Februar 2018; bisher unveröffentlicht). Einsprüche gegen kartellbehördlich verhängte Bußgelder bleiben damit hochgradig risikobehaftet.

OLG Düsseldorf erhöht im Vertikalfall nachträglich Kartellbußgeld gegen die Drogeriekette Rossmann von 5,25 auf 30 Mio. Euro
OLG Düsseldorf erhöht im Vertikalfall nachträglich Kartellbußgeld gegen die Drogeriekette Rossmann von 5,25 auf 30 Mio. Euro

02.03.2018 | Kartellrecht

Das Oberlandesgericht Düsseldorf setzt mit dem aktuellen Urteil gegen Rossmann seine Rechtsprechung in Bezug auf die Bemessung von Kartellbußgeldern konsequent fort: Zuletzt waren im Tapetenkartell (Herbst 2017) und zuvor in einem weiteren Tatkomplex des sog. Vertikalfalls, nämlich bei der Warengruppe Süßwaren (Frühjahr 2017), die zuvor vom Bundeskartellamt (BKartA) festgesetzten Bußgelder nachträglich erhöht worden. Hintergrund war jeweils eine von derjenigen des Bundeskartellamtes abweichende Berechnungsmethode zur Ermittlung des Bemessungsspielraums, innerhalb dessen die Festsetzung eines Bußgeldes nach tat- und täterbezogenen Kriterien erfolgt.  

Die Einlegung von Einsprüchen gegen kartellbehördlich festgesetzte Bußgelder bleibt damit in hohem Maße risikobehaftet. Bebußte Unternehmen sollten sich gut überlegen, ob ein gegen die kartellbehördliche Festsetzung möglicher Einspruch das Risiko einer nachträglichen Bußgelderhöhung wert ist bzw. für den Fall, dass ein Einspruch bereits eingelegt worden ist, dieser nicht besser zurückgenommen werden sollte.

Sachverhalt und Verfahrensgang

Das Bundeskartellamt hatte wegen vertikaler Preisabsprachen mit der Melitta Kaffee GmbH („Melitta“) beim Vertrieb von Röstkaffeeprodukten (Filterkaffee und Ganze-Bohne-Produkte von Melitta) Bußgelder gegen die Firmen Edeka, Rewe, Metro, Kaufland und die Dirk Rossmann GmbH („Rossmann“) in Höhe von insgesamt 50 Mio. Euro verhängt. Auf Rossmann entfiel hierbei ein Bußgeld i.H.v. 5,25 Mio. Euro. Melitta wurde das Bußgeld als Kronzeuge in Folge eines Bonusantrags vollständig erlassen.

Nach den Feststellungen des BKartA hatten Verantwortliche der Melitta mit Verantwortlichen der vorgenannten Handelsunternehmen eine Grundvereinbarung getroffen, nach der diese Handelsunternehmen ein an Verkaufspreisempfehlungen der Melitta orientiertes Mindestniveau bei den Endverkaufspreisen für Röstkaffeeprodukte einhalten sollten, wenn und soweit Melitta dafür sorgt, dass auch die wesentlichen Wettbewerber auf der Handelsstufe dieses Mindestniveau einhalten (sog. vertikale Preisbindung). Die im Jahr 2004 getroffene Grundvereinbarung wurde bis Mitte des Jahres 2008 durch unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt (vgl. BKartA, Fallbericht vom 18. Januar 2016, B10-50/14).

Der Sachverhalt ist Bestandteil des sog. Vertikalfalls, in dem das Bundeskartellamt bis Ende des Jahres 2016 wegen vertikaler Preisabsprachen in den Warengruppen Süßwaren, Bier, Tiernahrung, Körperpflegeprodukte (und Kaffee) Bußgelder gegen fast 30 Unternehmen festgesetzt hatte.

Während alle weiteren bebußten Unternehmen im Tatkomplex „Röstkaffeeprodukte“ einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) zugestimmt hatten, legte Rossmann hiergegen einen Einspruch ein.

Entscheidung

Das OLG bestätigte nunmehr in seinem Urteil nicht nur die vom BKartA festgestellten Kartellverstöße, sondern erhöhte zugleich auch das Bußgeld gegen Rossmann um das 6-fache, nämlich von 5,25 auf 30 Mio. Euro.

Die Erhöhung dürfte insbesondere daraus resultieren, dass das OLG eine von derjenigen des BKartA abweichende Berechnungsmethode bei der Festsetzung des Bußgeldes angewendet hat, indem es den weltweiten Konzernumsatz von Rossmann als Bemessungsspielraum zu Grunde gelegt hat und nicht nur, wie das BKartA, den von den (vertikalen) Preisabsprachen betroffenen Umsatz (sog. tatbezogener Umsatz). Darüber hinaus kam das OLG (innerhalb des so ermittelten Bemessungsspielraums) bei der Festsetzung des Bußgeldes nach tat- und täterbezogenen Kriterien offenbar zu abweichenden Feststellungen: Zum einen ging das OLG von einem längeren Tatzeitraum und zum anderen von einer höheren Gewichtung des Tatbeitrages von Rossmann aus.

Hintergrund: Abweichende Berechnungsmethoden

Die gesetzliche Obergrenze des Bußgeldrahmens für schwere Kartellordnungswidrigkeiten, für die das BKartA gegen ein Unternehmen ein Bußgeld verhängen kann, beträgt bei vorsätzlicher Zuwiderhandlung 10 % des im Geschäftsjahr vor der Behördenentscheidung erzielten Gesamtumsatzes des Unternehmens (§ 81 Abs. 4 S. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB). Bei der Bemessung des Bußgeldes wird (als Ausgangspunkt) auf den weltweiten Konzernumsatz der sog. wirtschaftlichen Einheit abgestellt (§ 81 Abs. 4 S. 3 GWB), nicht hingegen auf den sog. tatbezogenen Umsatz, d.h. (nur) den von den Preisabsprachen betroffenen Umsatz (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 26.02.2013, KRB 20/12 - sog. Grauzement-Beschluss). Laut der BGH-Rechtsprechung sind dabei 10 % des Konzernumsatzes als Obergrenze für Bußgelder und nicht als Kappungsgrenze zu verstehen.

Das BKartA geht bei der Festsetzung von Bußgeldern (unter Berücksichtigung des Grauzement-Beschlusses  des BGH) zwar ebenfalls von dem vorgenannten gesetzlichen Rahmen aus, nimmt allerdings im Einzelfall – innerhalb des gesetzlichen Rahmens – anhand bestimmter Kriterien eine weitere Eingrenzung des Bemessungsspielraums vor, innerhalb dessen sodann die Einordnung der Tat (nach tat- und täterbezogenen Kriterien) erfolgt. 

Ausweislich der Leitlinien des BKartA für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren vom 25. Juni 2013 (Bußgeldleitlinien), welche nach dem Grauzement-Beschluss neu gefasst worden waren, wird bei der Eingrenzung des Bemessungsspielraums u.a. berücksichtigt, dass das Bußgeld nicht außer Verhältnis zu den Möglichkeiten stehen soll, durch die konkrete Tat Vorteile im Wettbewerb zu erzielen und für Dritte bzw. die Volkswirtschaft insgesamt Nachteile zu bewirken (sog. Gewinn- und Schadenspotential). Dieses Gewinn- und Schadenspotential leitet das BKartA (wie bereits vor dem Grauzement-Beschluss) aus dem tatbezogenen Umsatz ab. Der tatbezogene Umsatz ist ausweislich der Bußgeldleitlinien derjenige Umsatz, der mit den Produkten und Dienstleistungen, die mit der Zuwiderhandlung im Zusammenhang stehen, während des gesamten Tatzeitraums im Inland erzielt worden ist.  

Das BKartA geht hinsichtlich der Eingrenzung des Bemessungsspielraums von einem Gewinn- und Schadenspotential in Höhe von 10 % des tatbezogenen Umsatzes aus. Auf diesen Wert wird ein Multiplikationsfaktor angewendet, der sich nach dem weltweiten Gesamtumsatz des Unternehmens bemisst. Der Faktor beträgt z.B. bei Unternehmen mit einem (weltweiten) Konzernumsatz von 100 Mio. Euro bis 1 Mrd. Euro das 3- bis 4-fache, bei einem Konzernumsatz von 1 Mrd. Euro bis 10 Mrd. Euro das 4- bis 5-fache.

In Fällen, in denen der so berechnete Wert unterhalb der gesetzlichen Bußgeldobergrenze liegt, bildet dieser Wert in der Regel die Grenze für die weitere Bußgeldbemessung, weshalb der Bemessungsspielraum für die Festsetzung eines Bußgeldes durch das BKartA im Einzelfall enger als der o.g. gesetzliche Rahmen sein kann. In allen anderen Fällen wird vom BKartA keine Eingrenzung des Bemessungsspielraums innerhalb des gesetzlichen Rahmens vorgenommen, vielmehr bildet der gesetzliche Rahmen in diesen Fällen auch in der Praxis des BKartA die Grenze im Hinblick auf die Angemessenheit der Geldbuße unter Berücksichtigung des Gewinn- und Schadenspotentials.  

Wenn ein kartellbeteiligtes Unternehmen also z.B. im letzten Geschäftsjahr vor der Entscheidung des BKartA einen weltweiten Konzernumsatz in Höhe von knapp 1 Mrd. Euro  erzielt hat, beträgt die gesetzliche Obergrenze bei einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung (knapp) 100 Mio. Euro. Hat das Unternehmen einen tatbezogenen Umsatz in Höhe von 50 Mio. Euro erzielt (z.B. je 10 Mio. Euro in fünf Jahren), geht das BKartA von einem Gewinn- und Schadenspotential in Höhe von 5 Mio. Euro aus (10% von 50 Mio. Euro). Auf diesen Wert wird der (von dem weltweiten Gesamtumsatz abhängige) Multiplikationsfaktor angewendet, so dass in diesem Beispiel die Obergrenze für die Bemessung des Bußgeldes im Ergebnis 20 Mio. Euro betragen würde [5 Mio. Euro (=10% von 50 Mio. Euro) x 4 (Faktor bei einem Gesamtumsatz von 100 Mio. Euro bis 1 Mrd. Euro) = 20 Mio. Euro]. 

Erst innerhalb des so ermittelten Bemessungsspielraums erfolgt sodann die eigentliche Einordnung der festgestellten Verhaltensweisen nach tat- und täterbezogenen Kriterien. Zu den tatbezogenen Kriterien gehören z.B. die Art und Dauer des Verstoßes, die Auswirkungen auf die betroffenen Märkte, die Bedeutung der kartellbeteiligten Unternehmen auf den betroffenen Märkten und der Organisationsgrad innerhalb des Kartells. Täterbezogene Kriterien sind z.B. der Grad des Vorsatzes bzw. der Fahrlässigkeit, vorangegangene Verstöße, die Rolle des Unternehmens im Kartell und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Ein positives Nachtatverhalten in Gestalt eines Bonusantrags sowie einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) wird gesondert bußgeldmindernd berücksichtigt.

Fazit und Handlungsempfehlung

Vor diesem Hintergrund kommt es immer wieder dazu, dass das BKartA, ausgehend vom tatbezogenen Umsatz, einen Bemessungsspielraum unterhalb der gesetzlichen Obergrenze ermittelt und Kartellbußgelder innerhalb des so begrenzten Bemessungsspielraums festsetzt.

Legt ein bebußtes Unternehmen nunmehr gegen ein kartellbehördlich festgesetztes Bußgeld einen Einspruch ein, hat das OLG auch über die Höhe des Bußgeldes zu befinden. Hierbei legt das OLG der Festsetzung der Kartellbußgelder den gesetzlichen Rahmen als Bemessungsspielraum zu Grunde, zumal es sich an den Feststellungen des BGH im Grauzement-Beschluss orientieren muss. Hieraus resultierend kann es zu einer nachträglichen Erhöhung eines vom BKartA festgesetzten Kartellbußgeldes durch das OLG kommen.

Unternehmen, gegen die durch das BKartA ein Kartellbußgeld festgesetzt worden ist, sollten sich vor diesem Hintergrund gut überlegen (bzw. dies vertieft prüfen lassen), ob ein gegen die kartellbehördliche Festsetzung möglicher Einspruch das Risiko einer nachträglichen Bußgelderhöhung wert ist bzw. für den Fall, dass ein Einspruch bereits eingelegt worden ist, dieser nicht besser zurückgenommen werden sollte. In letztgenanntem Fall sind (zwar) – zusätzlich zu den Verfahrenskosten – Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz auf das Kartellbußgeld zu zahlen, allerdings dürften diese zusätzlichen Kosten zusammengenommen oftmals unterhalb derjenigen Kosten liegen, die aus einer Verböserung des Bußgeldes resultieren (würden).