04.10.2017 | Arbeitsrecht
Inhalt
Das Unterlassen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX als kooperativer Suchprozess zur Beschäftigungsstabilisierung führt bekanntermaßen für den Arbeitgeber im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreit zu Rechtsnachteilen in Form einer verschärften Darlegungs- und Beweislast. Damit enden jedoch die praktischen Auswirkungen eines unterlassenen oder fehlerhaft durchgeführten BEM nicht. Das LAG Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 22.11.2016, 15 Sa 76/15 entschieden, dass ein unterlassenes BEM auch zur Unwirksamkeit einer Umsetzung führt, da dann die Ausübung des hierauf gerichteten Direktionsrechts nicht billigem Ermessen entspricht.
Sachverhalt
Der Kläger klagte auf Beschäftigung als Maschinenbediener in der Nachtschicht, nachdem ihn sein Arbeitgeber nach längerer Arbeitsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen in die Wechselschicht umgesetzt hatte. Der Umsetzung war ein Krankenrückkehrgespräch vorausgegangen, das allerdings unstreitig nicht als betriebliches Eingliederungsmanagement ausgestaltet war.
Das Arbeitsgericht Pforzheim hatte die Klage abgewiesen, da die Umsetzung in Wechselschicht arbeitsvertraglich möglich sei und billigem Ermessen entspricht. In der Berufungsinstanz war zusätzlich bekannt geworden, dass der Kläger Mittwoch Nachmittags an einer ambulanten Entwöhnungsmaßnahme teilnahm, was aufgrund der Wechselschicht jedes zweite Mal dann nicht möglich war, von der Nachtschicht jedoch nicht beeinträchtigt worden wäre. Das LAG Baden-Württemberg hat der Beschäftigungsklage stattgegeben, da die Beklagte bei Ausübung des Weisungsrechts die Grenzen billigen Ermessens überschritten hat. Die Beklagte konnte sich aufgrund des unterlassenen BEM nicht auf ihr betriebliches Interesse, mit der Umsetzung zu klären, ob sich in der Wechselschicht der Gesundheitszustand des Klägers bessert, im Rahmen der umfassend vorzunehmenden Interessensabwägung berufen. Die Revision ist beim BAG anhängig.
Das LAG Baden-Württemberg ging dabei wie die Vorinstanz grundsätzlich davon aus, dass eine Umsetzung in Wechselschicht arbeitsvertraglich zulässig ist, sah aber kein berechtigtes Interesse der Beklagten an einer Umverteilung der Arbeitszeit als gegeben. Die Ermessensausübung unterliegt gemäß § 315 Abs. 3 BGB der vollen gerichtlichen Kontrolle. Die einseitige Leistungsbestimmung entspricht dann billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind und zwar im Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechtes.
Das Gericht stellte hierzu fest, dass das angegebene betriebliche Interesse der Beklagten, mit der Maßnahme herauszufinden, ob sich der Gesundheitszustand des Beklagten bessert, exakt der Zielsetzung eines BEM entspricht und demgemäß zunächst erst ein BEM als gesetzlich vorgeschriebene Maßnahme durchzuführen gewesen wäre. Da dies nicht erfolgte, konnte sich die Beklagte auch nicht auf dieses betriebliche Interesse berufen. Eine weitere Abwägung war demgemäß obsolet bzw. musste auf jeden Fall zugunsten des Klägers ausgehen. Weitere Interessen der der Beklagten an der Umsetzung wurden nicht nachgewiesen. Die Umsetzung entsprach damit nicht billigem Ermessen.
Praxistipp
Auch wenn dem Verfahren eine besondere Konstellation zugrunde liegt – die Beklagte konnte keine weiteren betrieblichen Interessen für die Umsetzung darlegen, ihr einziges Interesse war deckungsgleich mit den Zielen des BEM – so ist jeder Arbeitgeber doch gut beraten, bei Vorliegen der Voraussetzungen des BEM ein solches dem Arbeitnehmer zumindest anzubieten und ggf. auch durchzuführen. Das Unterlassen des BEM gewinnt nicht nur im Kündigungsrechtstreit, sondern auch in anderen Bereichen deutlich an Bedeutung.