24.03.2015 | Vergaberecht
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb die Lieferung von Inventar u.a. für Labore gemäß VOL/A-EG aus. Die Ausschreibungsunterlagen enthielten auf Seite 2 den fettgedruckten Hinweis, dass sich die ausgeschriebene Labor-Ergänzung produktspezifisch auf Erzeugnisse eines bestimmten Herstellers bezieht. Der Hinweis „oder gleichwertig“ fehlte.
Der bei der Antragstellerin mit der Projektbearbeitung beauftragte Mitarbeiter sichtete die Ausschreibungsunterlagen am 14.11.2014 und nahm noch am selben Tag Kontakt zur konzerneigenen Rechtsabteilung auf. Der dort für die Sachbearbeitung zuständige Rechtsanwalt erbat anschließend beim Vertriebsleiter um „ergänzende Informationen“, welche er am 19.11.2014 erhielt. Die Antragstellerin rügte am 28.11.2014 einen Verstoß gegen das Gebot produktneutrale Ausschreibung nach § 8 EG Abs. 7 VOL/A. Nachdem die Antragsgegnerin die Rüge zurückgewiesen hatte, verfolgte die Antragstellerin ihr Begehren mit einem Nachprüfungsantrag weiter.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Nach Auffassung der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern ist der Nachprüfungsantrag bereits gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat.
Die Vergabekammer weist darauf hin, dass die Rechtsprechung positive Kenntnis vom Vergabeverstoß i.S.v. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB („erkannt“) annimmt, wenn der Kenntnisstand des Antragstellers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einen solchen Grad erreicht, dass die Berufung auf eine angebliche Unkenntnis sich als ein mutwilliges sich verschließen vor der Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes darstellt. Neben der Kenntnis der wesentlichen tatsächlichen Umstände des Verstoßes ist dabei auf Seiten des Bieters eine zumindest laienhafte Bewertung des Verhaltens der Vergabestelle als unter Umständen vergaberechtswidrig erforderlich, aber auch ausreichend.
Nach Auffassung der Vergabekammer lag diese positive Kenntnis auf Seiten der Antragstellerin spätestens am 19.11.2014 vor. Denn zu diesem Zeitpunkt habe der bei der Antragstellerin für die Sachbearbeitung zuständige Rechtsanwalt die Ausschreibungsunterlagen sowie die ihm anschließend vom Vertriebsleiter übersandten „ergänzenden Informationen“ sichten und bewerten können. Es sei unerheblich, ob der Rechtsanwalt bisher keine Berührung mit dem Vergaberecht gehabt hat, da nicht ernsthaft in Frage zu stellen sei, dass letztgenannter als Volljurist zumindest über vergaberechtliche Grundkenntnisse verfügt, so dass die Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB spätestens am 19.11.2014 begonnen hat. Da der in Rede stehende Sachverhalt nicht überdurchschnittlich komplex sei, müsse von einer maximal einzuhaltenden Rügefrist von einer Woche ausgegangen werden. Die Antragstellerin hätte daher spätestens am 26.11.2014 ihre Rüge erheben müssen, damit die Rüge noch „unverzüglich“ i. S. d. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB erfolgt wäre. Die tatsächlich erst zwei Tage später erhobene Rüge sei somit verfristet i. S. der vorerwähnten Vorschrift.
Anmerkungen
Die Auffassung der Vergabekammer, dass jeder Volljurist über Grundkenntnisse des Vergaberechts verfügt, erscheint praxisfern.
Im Übrigen erscheint fraglich, ob eine Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrags überhaupt noch auf § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gestützt werden darf. Tatsächlich haben sich eine Reihe von Nachprüfungsinstanzen gegen eine Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ausgesprochen, da das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit gegen europäisches Recht verstoße und die Regelung bis zu einer europarechtskonformen Neuregelung mit einer konkret in Tagen bemessenen Frist nicht angewendet werden dürfe (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 – 1 Verg 5/13; VK Arnsberg, Beschluss vom 13.02.2013 – VK 20/12; VK Südbayern, Beschluss vom 16.12.2014 – Z 3-3-3194-1-43-09/14, jeweils mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 28.01.2010 – C-456/08; Urteil vom 28.01.2010 – C 406/08).